Andrea Sawatzki: "Plötzlich hat sich das Wesen meines Vaters verändert"
Andrea Sawatzkis Vater starb an Alzheimer. In der Talkshow "Riverboat" spricht sie über dessen Pflege und die schwierige Zeit für ihre Familie.
Andrea Sawatzki ist nicht nur als Schauspielerin erfolgreich, sondern auch als Autorin. So lieferte sie die Romanvorlage für den TV-Erfolg "Familie Bundschuh" höchstpersönlich. Im Februar 2022 ist ihr autofiktionales Buch "Brunnenstraße" erschienen. In der MDR-Talkshow "Riverboat" spricht sie über ihre eigene Kindheit, auf der das Buch basiert.
Andrea Sawatzki: Als sie zehn Jahre alt war, veränderte sich das Wesen ihres Vaters
Bis zu ihrem achten Lebensjahr wuchs Sawatzki bei ihrer Mutter auf, erst dann zogen die beiden zu ihrem Vater, der ein angesehener Journalist war. Als sie zehn Jahre alt war, habe er sich verändert. "Es ließ sich alles sehr gut an, bis sich dann plötzlich das Wesen meines Vaters verändert hat. Als ich so zehn Jahre alt war, hat er sich zunehmend merkwürdig verhalten, hatte manchmal jähzornige Ausbrüche, wurde gewalttätig", erzählt sie in der Talkshow.
Sie und ihre Mutter hätten anfangs nicht gewusst, was los war. Ein Arzt habe schließlich gemutmaßt, er könne an Alzheimer leiden. Diese Form der Demenz war damals noch relativ unbekannt. "Es gab keine Medikamente, keine Pflegeversicherung und mein Vater konnte nicht mehr arbeiten. Er hatte viele Schulden angehäuft, was er aber gar nicht mehr mitbekommen hatte", sagt die 1963 geborene Schauspielerin. Ihre Mutter habe wieder arbeiten müssen – sie war Krankenschwester – bekam aber nur einen Job in der Nachtschicht. "Wir haben uns dann die Pflege meines Vaters geteilt" – Andrea Sawatzki war damals erst zehn Jahre alt.
"Brunnenstraße" soll anderen Menschen Mut machen
"Als Kind denkt man sofort, er mag mich nicht. Auch später habe ich nicht verstanden, dass er krank war", sagt sie im Gespräch mit Moderatorin Kim Fisher. Sie habe damals gedacht, sie habe bei der Betreuung ihres Vaters komplett versagt, "weil mich das überfordert hat". Sie habe es nicht geschafft, ihre Mutter zu entlasten. Das Buch "Brunnenstraße" habe sie auch geschrieben, um anderen Menschen, die es vielleicht ähnlich schwer hatten in ihrer Kindheit, Mut zu machen. "Ich hoffe, dass ich durch dieses Buch manchen Menschen helfe, sich die Bilder der Kindheit noch einmal hervorzuholen und sich selbst zu verzeihen."
Ihre Mutter habe ein "furchtbar schlechtes Gewissen gehabt", aber "sie konnte einfach nicht anders". Sie musste arbeiten, um die Schulden zu bezahlen, finanzielle Hilfe gab es nicht. Geredet hätten sie nicht viel über diese Zeit, auch nicht, nachdem ihr Vater gestorben war. "Ich hätte sie gebraucht, um mir ein bisschen von dieser Schuld zu nehmen", sagt sie im MDR. Doch ihre Mutter käme noch aus einer Generation, in der man nicht viel über die eigenen Erfahrungen sprechen könne.
Andrea Sawatzki konnte erst über diese Zeit sprechen, als sie selbst Mutter wurde
Als Andrea Sawatzki 15 Jahre alt war, starb ihr Vater. Trotz aller Bürden, die ihr durch dessen Pflege auferlegt wurden, habe sie "ihn unendlich geliebt". Er konnte ihr dieses Gefühl aber nie zeigen. "Er kannte mich gar nicht. Er hatte vor, dass wir eine glückliche Familie werden, aber er hat mich schon zwei Jahre später nur noch sporadisch erkannt." Vor einigen Jahren sagte die gebürtige Bayerin im Interview mit der "Zeit": "Wir sind uns fremd geblieben, es konnte keine Liebe zwischen uns wachsen."
Erst im Alter von 35 Jahren konnte sie mit ihrem Ehemann, Schauspieler Christian Berkel, über ihren Vater und ihre Kindheit sprechen. Auslöser war die Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 1999. "Ich musste mich erst mal um meine Kindheit kümmern, um eine andere Kindheit zum Leben erwecken zu lassen." Andrea Sawatzki ist Mutter von zwei Kindern: Moritz und Bruno (2002 geboren).