Toxische Beziehungen: Wann sich ein Paar dringend trennen sollte
Wer eine toxische Beziehung führt, leidet unter der Partnerschaft, ist schrecklich unglücklich – und gleichzeitig im festen Glauben, es ohne die andere Person nicht aushalten zu können. Aber wann ist eine Beziehung "vergiftet"?
Unstimmigkeiten, ja auch mal ein handfester Streit sind in einer Partnerschaft ganz normal und gehören dazu. Aber alles in Maßen – und immer auf einer verträglichen Ebene. Denn manchmal verrutscht das, oft geht das so peu à peu vonstatten – und ehe man sich versieht, ist die Schieflage schon erreicht.
Dann kann eine toxische Beziehung entstehen: Das Paar kann nicht miteinander – meint aber, auch nicht ohneeinander zu können. Eric Hegmann, Paarberater und Parship-Coach, kennt solche unseligen Partnerschaften. Der Beziehungsexperte, der in seiner Modern Love School viele Online-Kurse rund um Beziehungsthemen anbietet, spricht im Interview mit BILD der FRAU darüber.
Eine toxische Beziehung erkennen: Interview mit einem Beziehungsexperten
BILD der FRAU: Lieber Herr Hegmann, was ist eine typische toxische Beziehung?
Eric Hegmann: Ich erkläre es mal anhand eines Beispiels aus der Paartherapie: Ein Paar kommt in die Beratung, die beiden führen seit fünf Jahren eine On-Off-Beziehung. Es stellt sich heraus: Immer wieder vernachlässigt er sie, denkt nur an sich, zieht sein eigenes Ding durch – ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse.
Sie droht mit Trennung, zweimal beendet sie die Beziehung tatsächlich, aber nach wenigen Monaten kehrt er zurück, reuevoll, entschuldigt sich, macht Versprechungen, bessert sich, sie lenkt ein – und das Paar kommt wieder zusammen. Und dann beginnt es von vorne. Beide sagen: Wir lieben uns so sehr, dass wir nicht ohne die jeweils andere Person können.
Weshalb macht sie das nur mit? Ihre Antwort darauf lautete: "Weil er die Liebe meines Lebens ist. Ich weiß, wir gehören zusammen. Er ist nun einmal so. Für die Liebe muss man auch Opfer bringen." Seine Antwort: "Ich benötige meinen Freiraum, ganz dringend. Aber wenn ich ihn habe, dann vermisse ich sie wieder und muss zu ihr zurück."
Eine toxische Verbindung ist keine Liebe
Wie lässt sich eine toxische Beziehung definieren?
Es gibt keine allgemeingültige Definition einer toxischen Beziehung. Es gibt Symptome und Verhaltensweisen, die eine Beziehung derart vergiften, dass sie "toxisch" genannt werden kann. Als Faustformel lässt sich vielleicht sagen: Wenn mich die Beziehung und die Partnerin bzw. der Partner häufiger unglücklich machen als glücklich, dann stimmt etwas nicht mit der Verbindung.
Auch wenn die Partner*innen nichts verändern können an dieser Dynamik, egal, was sie versuchen – und dennoch dauerhaft an der Beziehung festhalten, obwohl sie unglücklich sind, leben sie in einer toxischen Beziehung. Hilflosigkeit ist ein wichtiges Erkennungszeichen. Ebenso wie: "Ich will ja ..., aber ich kann nicht ..."
Eine glückliche Beziehung macht Studien zufolge glücklich, ist gesund und erhöht die Lebenserwartung. Eine toxische Beziehung hingegen vergiftet alle Lebensbereiche, sorgt für Stress und Gereiztheit – und kann auch Depressionen auslösen.
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"Du bist alles, was ich habe" ist ein Hilferuf
Was sind immer wiederkehrende Muster, die eine Beziehung toxisch machen?
Eine Auswahl typischer Verhaltensweisen, die Menschen in toxischen Beziehungen benennen:
- ununterbrochene Gereiztheit
- stete Sorge um die Beziehung und um das Commitment der Partnerin / des Partners
- häufig sehr unterschiedliche Nähe-Distanz-Bedürfnisse
- erhebliche Kommunikationsprobleme
- Manipulation und Beeinflussung eines Partners
- rücksichtsloses Durchsetzen eigener Wünsche
- Mangel an Respekt und Toleranz
- beständiges Zweifeln und Grübeln über die Verbindung
- permanente Unsicherheit
- übergriffiges und gewalttätiges Verhalten
- ermüdende, immer wiederkehrende Beziehungs-Dynamiken
Was macht eine solche Beziehung mit Betroffenen?
In toxischen Beziehungen befürchtet eine*r von beiden oft, ohne die andere Person nicht leben zu können. Der Satz: "Du bist alles, was ich habe" ist dann genau genommen kein Zeichen von Liebe, sondern ein Hilferuf. Denn die Partnerin / der Partner soll eine Leere füllen, die man spürt, weil man mit sich selbst – und seiner Rolle im Leben – nicht im Reinen ist.
Wie bei anderem Suchtverhalten durchleben Betroffene Phasen der Selbstüberschätzung, der Selbstzweifel, der Erklärungs- und Beschwichtigungsversuche, des Selbstbetruges und der aggressiven Verteidigung des Suchtverhaltens. Daraus entsteht eine gefährliche Beziehungs-Dynamik.
Toxische Beziehungen sind immer unsichere Verbindungen
Aber eine toxische Beziehung wünscht sich ja niemand. Wieso rutschen manche Menschen dann da hinein?
Menschen wünschen sich in Beziehungen einen sicheren Hafen, von dem aus sie die Welt erkunden können. Gleichzeitig benötigen Menschen Freiraum, um sich selbst spüren und entfalten zu können. Die Folge ist: Wir wollen Partner*innen, auf die wir uns verlassen können, die uns emotional nah sind – und wir wollen, dass sie uns machen lassen, was wir möchten, ohne dass sie sich von uns abwenden.
Oft erst mit dem Blick von außen wird Partner*innen in toxischen Beziehungen die Diskrepanz der gelebten Beziehung zu den eigenen Wünschen ganz klar deutlich. Alle Verbindungen bewegen sich zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Jeder Wunsch der Partner*innen ist ja zunächst gleichberechtigt. Zum Konflikt kommt es, wenn gegensätzliche Bedürfnisse zum gleichen Zeitpunkt erfüllt werden sollen.
Es geht um Nähe und Distanz, Macht und Unterordnung
Gibt es einen Typ Mensch, der besonders anfällig für eine solche Partnerschaft ist?
In toxischen Beziehungen geht es meist um Nähe und Distanz. Wie viel Nähe wünscht eine Person, wie viel Nähe kann und will die andere zulassen. Und umgekehrt. Beim Thema Nähe und Distanz gibt es eine wichtige Erkenntnis: Diejenige Person, die weniger Nähe wünscht und dafür mehr Distanz, hat in einer Beziehung das Sagen. Denn sie bestimmt alleine über die Nähe, die möglich ist. Damit wird aus dem Bedürfnis nach Autonomie plötzlich ein Hebel der Macht.
Toxische Beziehungen zeichnen sich durch Machtmissbrauch aus – und der kann vorsätzlich und fahrlässig erfolgen. Meist wissen die Partner*innen aber gar nicht, was sie anrichten und wie sie die Beziehungsdynamik beeinflussen und langfristig zerstören, wenn sie den anderen immer wieder in der ein oder anderen Form zurückweisen. Häufig ist ihnen ihre Macht nicht nur nicht bewusst, sie wollen diese auch gar nicht haben. In vielen Fällen, die toxische Beziehungen ausmachen, haben beide Partner*innen die Dynamik erkannt – und sie behalten sie bei, obwohl sie so giftig und schädlich ist.
Eine toxische Beziehung kann viele Formen annehmen – es ist meist alles andere als leicht, sich aus ihr zu befreien bzw. sie zu verarbeiten. (Selbst-)Erkenntnis ist aber der erste Schritt zur Lösung!
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