Beziehungsstreit? Mit diesem Satz ist er meist wieder begraben
Erst war es noch harmlose Frotzelei: Was sich liebt, das neckt sich eben. Doch wenn bei Paaren daraus ein handfester Streit entsteht, kann das Ganze auch schnell eskalieren. Welcher Satz dann meistens helfen kann – und warum es oft so weit kommt, erklärt ein Experte.
Zunächst einmal: Zu jeder guten Beziehung gehört es dazu, sich auch mal zu streiten. Unbedingt! Doch wenn es hitzig zugeht, kann eine anfänglich harmlose Streiterei völlig aus den Fugen geraten. Dabei können Konflikte extrem tief gehen und vor allem verletzend werden. Nicht selten hinterlassen verbale Attacken Narben, die nicht so schnell wieder verblassen! Aber das haben wir in der Hand – auch wenn es mitunter schwierig ist.
Eric Hegmann, Paarberater und Parship-Coach, kennt das aus seinem beruflichen Alltag. Zu Beziehungsthemen wie diesem bietet er in seiner Modern Love School viele Online-Kurse an. Im Interview mit BILD der FRAU spricht der Beziehungs-Experte darüber, warum ein Streit eskaliert – und welcher Satz dann helfen kann, ihm die Schärfe zu nehmen.
Warum ein Streit eskaliert, welcher Satz dann hilft, wie man die Eskalation im Vorfeld vermeidet
BILD der FRAU: Lieber Herr Hegmann, wodurch kommt es in der Regel zu Konflikten?
Eric Hegmann: Konflikte entstehen durch unterschiedliche Bedürfnisse zur gleichen Zeit, wobei das eigene Bedürfnis als wichtiger oder berechtigter empfunden wird – von beiden Partner*innen. Was kein Wunder ist, denn diese Wünsche sind ja auch zunächst gleichberechtigt. Es ist der Gedanke: "Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann wärst du auf meiner Seite ..."
Der Konflikt entsteht also etwa durch Kränkung, Furcht vor dem Verlassenwerden – oder weil Erinnerungen an ähnliche Situationen geweckt werden. Die Kunst des Streitens besteht darin, diese Emotionen anzusprechen, um dann auf Augenhöhe verhandeln zu können.
Um was geht es letztlich bei den meisten Streitereien?
Viele Erwachsene haben früher von ihren Eltern gelernt: "Sei nicht so emotional. Bleib auf der Sachebene!" Der Rat wird leider meist missverstanden, wenn er befolgt wird. Denn wenn Paare sachlich argumentieren wollen, bleiben sie häufig an der Oberfläche und kommen nicht zum Kern des Konflikts. Es geht nämlich nie wirklich um die Sachebene bei Beziehungsthemen, es geht immer darum, was der Konflikt auslöst.
Die berühmte Zahnpastatube, die nicht ausgeräumte Spülmaschine: Nicht der fehlende Handgriff ist der Anlass für den Streit, sondern das Gefühl, nicht wichtig zu sein, nicht respektiert und nicht gleichberechtigt behandelt zu werden – dem anderen hinterherräumen zu müssen. Etwas, das vielleicht in einer früheren Beziehung bereits als besonders schmerzhaft erlebt wurde und nun wieder hochkommt.
Unser Gehirn sorgt dafür, dass die Partnerin / der Partner im Streit zur Bedrohung wird
Was passiert denn beim Streiten im Gehirn?
Durch Streit mit der oder dem Liebsten entstehen starke Gefühle, meist Angst vor einem Beziehungsaus. Das evolutionär früh entwickelte Limbische System bereitet den Körper auf eine Reaktion vor: Der Herzschlag wird schneller, die Muskeln werden angespannt, wir sind durch die Stressreaktion im "Fight or Flight"-Modus, Flucht oder Gegenangriff.
Im Neocortex, also dem Bereich des Gehirns, der für unsere kognitiven Fähigkeiten zuständig ist, würden wir im Normalzustand abwägen und überlegen, mit früheren Situationen vergleichen und schließlich zu einer Entscheidung kommen. Dafür muss die Verbindung zwischen Amygdala und Hirnrinde erst wiederhergestellt werden, das dauert jedoch zu lange in einer Gefahrensituation.
Im Streit erleben wir ohne diese Verbindung die Partnerin bzw. den Partner nicht länger als die Person, mit der wir liebevolle Gefühle verbinden, sondern als gegnerische Person, die uns bedroht und auf die wir umgehend reagieren müssten. Der Konflikt eskaliert.
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Dann sind wir dem also hilflos ausgeliefert?
Im Sinne von: Wir können gegen die verbalen Attacken, womöglich auch körperlichen Angriffe nichts tun? Müssen alles entschuldigen, denn "das Gehirn kann ja nicht anders"? Oh nein! Die Kunst ist, die Aufmerksamkeit wegzulenken von dem, was unter Druck setzt, wütend oder Angst macht. Denn dann kann die Großhirnrinde wieder mitmischen. Dafür gibt es zahlreiche Methoden.
Zunächst die einfachste Möglichkeit: atmen. Durchatmen. Mindestens fünfmal.
Mit diesen beiden Fragen nimmst du dem Streit die Angriffshaltung
Professor Gottman schlägt an dieser Stelle eine Frage vor, die vielen Paaren bereits geholfen hat: "Wollen wir uns erst einen Tee machen und dann weiter streiten?" Damit wird der Angriffsimpuls kurz unterbrochen, die Verbindung zum Neocortex kann wiederhergestellt werden.
Noch besser ist der Satz: "Wenn wir streiten, dann bitte so, dass ich spüre, dass du mich liebst." Damit wird das Empathiezentrum der Partnerin bzw. des Partners angesprochen, und aus dem Angreifer, gegen den es sich zu verteidigen gilt, wird wieder die einzigartige Person, mit der wir unser Leben verbringen wollen, ein Mensch mit Emotionen, mit Bedürfnissen und Ängsten – genauso wie wir selbst.
Was lässt sich im Vorfeld tun, damit der Streit erst gar nicht eskaliert?
Auf Kritik wird das Gegenüber immer mit Angriff, Verteidigung oder Flucht reagieren. Dies sind die drei Möglichkeiten. Bevor nämlich der Verstand Zeit fand, abzuwägen, abzugleichen oder zu verarbeiten, hat der Überlebensinstinkt auf die scheinbar drohende Gefahr bereits reagiert. Schweigen und Mauern kann dabei sowohl eine Verteidigung als auch eine Flucht darstellen.
So vermeidest du, zur Angreiferin bzw. zum Angreifer zu werden
Menschen verhindern, dass sie als angreifende Person wahrgenommen werden, indem sie als Sprecher*in
- nicht abwerten, keine Kritik üben, keine "Du"-Vorwürfe verwenden
- nur über die eigenen Gefühle und Wahrnehmung sprechen
- nicht verallgemeinern ("immer") und ganz bei sich in der aktuellen Situation bleiben ("ich")
- nicht fordern, sondern wünschen, bitten oder vorschlagen als Zuhörer*in
- erst die Zusammenhänge erfassen, ganz bei der Sache bleiben und eigene Schlussfolgerungen hintenanstellen, nicht in eine Verteidigungshaltung gehen
- auf die Emotionen der Partnerin bzw. des Partners achten, denn um die geht es auch in vermeintlichen Sachdiskussionen
- zusammenfassen und wiederholen, was sie verstanden haben, und ihr Verständnis für die Gefühle der bzw. des Liebsten bestätigen
- Fragen stellen, wenn sie unsicher sind, ob sie etwas richtig verstanden haben
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