Zwischen Tabu und Akzeptanz

Interview mit einer Sexologin: Welchen Platz hat Pornografie in unserem Leben?

Auf dem Bild ist ein Paar zu sehen, das gemeinsam in einem Bett sitzt und ein Laptop betrachtet. Sie sind teilweise von Bettdecken bedeckt und scheinen Pornografie auf dem Laptop anzuschauen. Die Szene wirkt entspannt und vertraut, was auf eine Beziehung hindeutet.
© Adobe Stock/ Alessandro Biascioli
Sexologin Sasha Naydenova hat mit BILD der FRAU über das Thema Pornografie in Beziehungen gesprochen.

Pornografie ist weiterhin ein tabuisiertes Thema – und das, obwohl der erste Kontakt bei Kindern immer früher stattfindet. BILD der FRAU hat mit Sexologin Sasha Naydenova über den Stellenwert von Pornografie in unserer Gesellschaft und vieles mehr gesprochen.

Das Thema Pornografie gilt in unserer heutigen Gesellschaft immer noch weitestgehend als großes Tabu – und das, obwohl der erste Kontakt mit sexuellen Inhalten bei Kindern immer früher stattfindet.

In Partnerschaften führt der Konsum zudem häufig zu Konflikten, da viele Menschen es nicht gerne sehen, wenn ihr Partner oder ihre Partnerin bei der Masturbation Pornos anschaut.

Aber wieso ist das eigentlich so und welche Auswirkungen hat der Konsum pornografischer Inhalte auf unsere Beziehung und unser Verständnis von Sexualität?

Moderatorin Louise Dellert hat im vergangenen Jahr ebenfalls offen über das Thema Porno-Konsum gesprochen. Was die Influencerin zu dem tabuisierten Thema zu sagen hat, siehst du im Video:

Tabubruch: Louisa Dellerts Weg zu bewusstem Pornokonsum

Sexologin Sasha Naydenova im Interview: Faszination und Tabu Pornografie

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat BILD der Frau mit Sasha Naydenova gesprochen. Im Interview erzählt die Sexologin mit eigener Praxis in Berlin, welchen Stellenwert Pornografie in unserer Gesellschaft hat und wie ein gesunder Umgang mit sexuellen Inhalten aussehen kann.

Sasha Naydenova, ist eine lächelnde Frau mittleren Alters mit schulterlangem, dunklem, welligem Haar. Sie steht vor einem grünen Hintergrund. Sie trägt ein schwarzes Top mit einem drapierten Ausschnitt und darüber eine offene, olivgrüne Jacke. Um den Hals hat sie eine dezente Kette, und ihr freundliches Lächeln drückt Offenheit und Wärme aus. | © René Löffler
Foto: René Löffler
Sasha Naydenova ist ausgebildete Sexologin und bietet in ihrer Praxis in Berlin Sexualtherapie an.

Sasha Naydenova: "Seit jeher hat der Mensch den natürlichen Drang, Erotik und Sexualität zu veranschaulichen."

BILD der FRAU: Welchen Platz hat Pornografie in unserer Gesellschaft?

Sasha Naydenova: Wir leben bereits seit mehreren Jahrzehnten in einer medialen Welt. Die Medien bestimmen so gut wie jede Sphäre unseres Lebens, somit auch unsere Sexualität. Erotische Darstellungen sind allerdings keine Erfindung der Moderne, diese gab es bereits in der Atike. Sie begleiten die menschliche Geschichte künstlerisch und literarisch seit vielen Jahrhunderten.

Seit jeher hat der Mensch den natürlichen Drang, Erotik und Sexualität zu veranschaulichen. Aus diesem Grund ist es kaum verwunderlich, dass mit der Entwicklung der audiovisuellen Technik und der Medien auch die Präsentation von sexuellen Bildern und Szenerien ausufert, sich verändert und zum Teil zu dem wird, was wir heute als Pornografie bezeichnen und empfinden. Das Internet hat auch seinen Beitrag geleistet, indem es die weite, problemlose Verbreitung dieser Inhalte möglich macht.

Pornografie gehört zu unserer Gesellschaft, ob wir das wollen oder nicht. Man könnte die Augen davor verschließen oder etwa versuchen, dagegen anzukämpfen, aber die beste Lösung ist es zu lernen, mit der allgegenwärtigen Pornografie umzugehen. Dies gilt für uns selbst, für die Erziehung unserer Kinder und auch für eine gesunde Beziehung.

Scham, Wut, Neugier und Ekel sind legitime Reaktionen auf Pornografie

Welche Faktoren beeinflussen unsere Reaktion auf Pornografie?

Jede*r von uns wird irgendwann mit pornografischen Inhalten konfrontiert. Besonders in den letzten Jahrzehnten sinkt das Alter, in dem die Kinder zufällig oder gezielt Nacktbildern im Internet begegnen, ungeachtet der Kindersicherungen im Computer oder auf dem Handy.

Viele Faktoren wirken sich darauf aus, wie das einzelne Individuum auf die pornografischen Inhalte reagiert. Scham, Wut, Neugier, Faszination, Ekel, Erregung und vieles mehr sind dabei jeweils natürliche Empfindungen, und jede davon ist legitim.

Wovon hängt es ab, welche dieser Gefühle bei uns überwiegt?

Es fängt bereits im Babyalter an, dass wir zu dem sexuellen Wesen werden, das wir als Erwachsene sind. Nur als Beispiel: Hat das Baby womöglich mitbekommen, dass jedes Wechseln seiner Windel Ekel erregt? Hat das Baby das in einem angewiderten Gesicht oder in den Ausrufen der Eltern gelesen? Wenn ja, dann prägt sich bereits in diesem Alter die Überzeugung ein: "Alles, was mit dieser Körperregion verbunden ist, ist ekelerregend."

Diese Prägung wird später eventuell noch mehr verfestigt, wenn etwa ein konservatives Elternhaus jede Nacktheit meidet und tadelt, wenn jegliche Gespräche über Sexualität in der Familie fehlen. Es wird wie ein Stempel bleiben, da es tief konnotiert ist.

Der spätere jugendliche und erwachsene Mensch wird diesen Stempel ebenfalls in sich tragen sowie die Überzeugung, dass die genitale Region des Körpers mit Gefühlen wie Scham, Ekel (und entsprechend weiterer Faktoren, die sich dazu gesellen) sogar mit Wut verbunden ist.

Pornografie als Tabu-Thema vs. natürliche Faszination

Im entgegengesetzten Szenario können Nacktheit, Sexualität und das Anschauen der eigenen oder der fremden Geschlechtsorgane wiederum eine natürliche, freundliche Neugier, Faszination und Wissbegierde beinhalten, bis hin zu einer Möglichkeit, das Gegenüber besser kennenzulernen.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Werdegang als sexuelles Wesen, die Entwicklung ist kein Vektor, der nur in eine Richtung führt. Es gibt auch kaum Sexual-Typen von Menschen, denn im Leben von jedem spielen unzählige Faktoren mit, die nicht nur durch das Elternhaus bedingt sind, sondern auch von Außen kommen – Freundeskreis, Verwandtschaft, Schule, Lebensereignisse, eventuelle Traumata oder Krankheiten, Medien(!).

Viele Frauen sind gekränkt oder schockiert, wenn sie den Partner/die Partnerin beim Pornos schauen "erwischen". Wieso und was steckt dahinter?

Jede Entwicklung ist bunt und einzigartig und es ist kaum möglich, dass in einer festen Beziehung zwei Partner mit exakt identischen Sexualverhalten, Vorlieben und sexuellen Interessen aufeinandertreffen.

Aus diesem Grund passiert es nicht selten, dass einer der Partner*innen entsetzt ist, wenn er/sie feststellt, dass der andere ein bestimmtes Sexualverhalten hat, das vom eigenen abweicht, wie beispielsweise gern Pornografie schaut. Es kann wiederum sogar sein, dass der "Erwischte" verärgert über die Tatsache ist, dass er in der Beziehung nicht er/sie selbst sein darf.

Vertrauen spielt beim Porno-Konsum in Beziehungen eine wichtige Rolle

Welche weiteren Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle?

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der zwischenmenschliche. Was bedeutet Nähe und Vertrauen in der Beziehung? Ist man(n)/Frau souverän und selbstbewusst in der Partnerschaft, um dem/der anderen Freiräume und Freiheiten zu gewähren? Was empfindet man(n)/Frau als Verrat, Täuschung oder Fremdgehen und warum? Aus welchen Gründen leidet das eigene Selbstwertempfinden?

Das Thema ist also sehr komplex und hat nicht allein mit der Pornografie als solcher zu tun, sondern auch damit, wie nahe sich die Partner*innen stehen und wie bereit sie sind, das Gegenüber in seiner Einzigartigkeit zu akzeptieren und zu lieben.

Nicht zuletzt ist es auch von Bedeutung, inwieweit der/die an Pornografie interessierte Partner*in in diesem Thema vertieft ist. Ob es ein normales, gesundes Interesse ist oder ob es sich zu einem Problem entwickelt hat.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass es vor allem bei Männern manchmal zu einer Pornografie-Sucht kommen kann, die auch für den Mann selbst sehr belastend ist. In diesem Fall ist eine Therapie notwendig.

Du möchtest mehr über das Thema Pornografie und Beziehungen lernen? Am nächsten Sonntag, dem 14. April, erscheint der zweite Teil unseres Interviews mit Sasha Naydenova, in dem sie Tipps gibt, was du tun kannst, wenn dein Partner/deine Partnerin Pornos schaut und dich das stört. Zudem verrät sie, ob gemeinsamer Porno-Konsum nicht vielleicht sogar vorteilhaft für deine Beziehung sein kann.

Zählbild
Mehr zum Thema
Inhalte durchsuchen: