Pflichtsex: Wie Frauen lernen, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen
Viele Frauen kennen wohl das Gefühl, eine gewisse Verantwortung für die sexuelle Zufriedenheit des oder der Partner*in zu verspüren. Doch woran liegt das und wie kann man sich von diesem Gedanken loslösen? BILD der FRAU hat mit Sexologin Sasha Naydenova über Pflichtsex in Beziehungen gesprochen.
Viele Frauen haben das Gefühl, in der Beziehung für die sexuelle Zufriedenheit ihres Partners oder ihrer Partnerin verantwortlich zu sein. Sie denken, Sex gehöre schlichtweg zu einer guten Partnerschaft mit dazu und lassen sich auf Intimitäten ein, um ihren/ihre Liebste glücklich zu machen – ohne eigentlich selbst so richtig in der Stimmung dafür zu sein.
Diese Haltung kann zur Folge haben, dass Sex eher als Pflicht, statt als Teil einer intimen Beziehung wahrgenommen wird. Dabei sollte Sex immer im Einverständnis und Einvernehmen beider Partner*innen stattfinden.
Durchbrich den Teufelskreis: Das kannst du gegen Pflichtsex tun
Doch wieso scheint für so viele Frauen Pflichtsex eine normale Sache zu sein und was können Betroffene tun, um ihre eigenen Bedürfnisse wieder mehr in den Fokus zu rücken?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat BILD der FRAU mit der Sexologin Sasha Naydenova über Pflichtsex in Beziehungen gesprochen. Im Interview gibt die Sexologin mit eigener Praxis in Berlin Tipps, was man tun kann, wenn Sex in der Partnerschaft als Pflicht wahrgenommen wird.
Sasha Naydenova: "Ein erster Schritt ist, die eigene Sexualität kennenzulernen"
BILD der FRAU: Wie können sich Betroffene von diesen Ansichten lösen?
Sasha Naydenova: Es ist wichtig, zu erkennen und zu ergründen, warum Frau Sexualität aus Pflichtgefühl zulässt. Die Aspekte Harmoniebedürfnis, Verlustangst, ein unsicheres Selbstwertgefühl und Liebesbegehren vs. sexuelles Begehren könnten Anhaltspunkte sein.
Sobald der Mechanismus erkannt wird, ist es leichter, weiter zu überlegen, ob sie diese Gewohnheit, dieses Muster beibehält – dann allerdings bewusst und mit der Klarheit, dass sie das machen WILL und warum – oder ob sie eine Veränderung anstreben kann, um etwas abzulegen, was ihr nicht guttut.
Hierbei ist es wichtig, mit sich selbst im Klaren zu sein, und sich – wenn es sein muss – dafür professionellen Rat zu holen, bevor man den Partner/die Partnerin involviert. Eine Konfrontation mit dem Partner/der Partnerin sollte am besten erst dann erfolgen, wenn Frau sich selbst sicher ist, was sie genau will und wozu sie bereit ist. Ein erster Schritt dabei ist, die eigene Sexualität kennenzulernen, für sich selbst zu erfahren, was die eigenen Bedürfnisse sind und wo die Grenzen liegen.
Räumliche Distanz kann helfen, sich über die eigenen Wünsche klarer zu werden
Was können Betroffene tun, um ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse wieder mehr in den Fokus zu rücken?
Manchmal ist es sehr schwer, die eigenen Bedürfnisse zu nennen. Die Frau ist so tief in der Beziehungsdynamik, dass sie sich als selbstständiges Individuum kaum erkennen kann. Es gilt dann, zunächst einen mentalen Abstand zu schaffen, und am besten wäre es, eine räumliche Distanz zu finden, um sich selbst zu spüren.
Diese Distanz muss nicht als gravierende Veränderung eingeführt werden. Es reicht manchmal schon, das eigene Badezimmer zu nutzen, um sich nackt im Spiegel anzusehen und sich dabei als sexuelles oder nicht sexuelles Wesen wahrzunehmen.
Sich anzusehen und sich selbst Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Was finde ich angenehm und zärtlich? Was ist an mir schön und begehrenswert? Wie finde ich diesen Körper, den ich im Spiegel sehe? Wie werde ich gern berührt? Was erregt mich? Wie will ich berührt werden? Wozu bin ich sexuell bereit?
Eine Beratung bei einer Sexologin kann helfen, die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu benennen
Sollte die Selbsterkundung schwerfallen, dann sind wir, die Sexolog*innen, gefragt. Wir kennen Herangehensweisen, die zur eigenen Sexualität führen.
Sobald die Frau zur eigenen Sexualität gefunden hat, wird sie dies auch selbstsicher zu kommunizieren wissen. Sie wird dann selbst merken, dass es möglich ist, auch mit dem Partner/der Partnerin darüber zu reden.
Kann Pflichtsex eine Beziehung retten?
Braucht es Pflichtsex, um eine Beziehung am Leben zu erhalten, beispielsweise, wenn ein*e Partner*in nicht mehr wirklich Sex haben will, der/die andere aber schon? Muss man dann Pflichtsex haben oder gibt es andere Lösungen?
Das ist sehr individuell. Generell würde ich sagen – JA. Vorausgesetzt, die Pflicht ist als Wunschpflicht gedacht. Die zwei tragenden Säulen der Beziehung sind die Sexualität und die Liebe.
Sollte die Liebessäule so stark sein, dass sie ohne die Sexualität-Säule auskommen kann, dann braucht sie diese nicht. In den meisten Beziehungen spielt jedoch die Sexualität eine gewichtige Rolle, selbst dann, wenn sie fehlt. Dann ist es eine Frage der Verhandlung, des Gespräches, der Aussprache zwischen den beiden, wer was braucht und wie viel davon: Was bedeutet Sexualität? Was beinhaltet sie? Warum ist sie wichtig?
Sollte sich bei den Gesprächen oder aus der Erfahrung herausstellen, dass der eine mehr und der andere weniger oder gar keine Sexualität möchte, dann ist es an der Tagesordnung, zu verhandeln, zu überlegen, Lösungen zu finden – und zwar gemeinsam.
Im ersten Teil des Interviews erklärt Sexologin Sasha Naydenova, woher der Gedanke kommt, für die sexuelle Zufriedenheit des/der Partner*in verantwortlich zu sein: Eine Sexologin klärt auf: 4 Gründe für Pflichtsex in Beziehungen