"So hab' ich mir das nicht vorgestellt!" Was tun, wenn dein Schatz andere Pläne hat?

Paare ziehen in der Regel an einem Strang. Doch wenn bei einer/m der beiden wichtige Lebensentscheidungen anstehen, etwa die ehrgeizige Karriereplanung, ein Ortswechsel oder der Einzug der Mutter, ist ein Konflikt vorprogrammiert. Wie geht man damit am besten um?
Eigentlich waren dein*e Liebste*r und du immer einer Meinung, was die großen, wichtigen Dinge im Leben angeht. Doch plötzlich will dein Schatz Karriere machen und rund um die Uhr arbeiten, möchte woanders leben, womöglich im Ausland, oder die Mutter – deine Schwiegermutter – soll einziehen.
"Das habe ich mir anders mit uns vorgestellt": Wenn dieser Satz bei einem Paar fällt, ist es höchste Zeit zu handeln – denn wichtige Lebensentscheidungen bergen reichlich Konfliktpotential und können eine Beziehung, gelinde gesagt, ins Straucheln bringen. Im Interview mit BILD der FRAU spricht Paarberater Eric Hegmann, der in seiner Modern Love School Online-Kurse rund um Beziehungsthemen und -krisen wie dieses hier anbietet, über das Dilemma.
Wichtige Lebensentscheidungen bergen Konfliktpotential – Interview mit einem Beziehungsexperten
BILD der FRAU: Lieber Herr Hegmann, welche gravierenden Veränderungen im Leben eines Paares können denn Angst machen?

Eric Hegmann: Auf jede Beziehung wirken Veränderungen ein, von innen und außen. Eine*r von beiden will auswandern oder nur noch minimalistisch leben und allen Besitz wegwerfen, statt Familiengründung noch zehn Jahre Karriere machen, ein Elternteil benötigt Pflege und soll beim Paar einziehen... Es gibt Lebensentscheidungen, die alles umwerfen.
Und dann stellt sich die Frage, wie Partner*innen nun eine gemeinsame Entscheidung finden, die beide tragen können für viele Jahre, vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens.
Stellen Veränderungen dieser Art also oft den Status quo in Frage?
Ja, größere Veränderungswünsche von einer oder einem von beiden führen nahezu immer zu Irritationen in einer Beziehung. "Wo bleibe ich? Bin ich noch wichtig? Was ist mit meinen Bedürfnissen? Liebt er/sie mich überhaupt noch?"
Die Klärung solcher Konflikte wird meist dadurch belastet, dass die Partner*innen einander mit Argumenten überzeugen wollen – dabei spielen oft vor allem emotionale Themen eine Rolle.
Der eigentliche Konflikt ist der Gedanke oder die geheime Überzeugung: "Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann wärst du doch meiner Meinung!" Hier wird die unterschiedliche Haltung als Bedrohung wahrgenommen. Die Situation wirft die Frage auf: "Bin ich mit der richtigen Person zusammen, wenn die so ganz anders entscheiden würde als ich? Müssten wir nicht in diesem Punkt an einem Strang ziehen?"
Stattdessen werden aber mit großem Energieaufwand Argumente ausgetauscht, Studienergebnisse, Expertenmeinungen, Beispiele aus dem sozialen Umfeld herangezogen. Die Partner*innen werten sich in der Folge gegenseitig ab, weil sie nicht einsichtig sind oder die Argumente nicht nachvollziehen können.
Bei Konflikten geht es in erster Linie um Emotionen
Was macht das Reden miteinander in einer solchen Situation so schwierig?
Auch bei kleinen Konflikten stehen oft die Emotionen im Vordergrund. Es ist nie die Zahnpastatube, es sind nie die nicht aufgeräumten Socken. Es ist das, was es mit der Person macht, die den Eindruck hat, hinterherputzen zu müssen. Die Frage nach dem Respekt, danach, ob die/der andere überhaupt wahrnimmt, dass man selbst Wünsche und Bedürfnisse hat und nicht nur gedankenlos oder egoistisch die eigenen Belange über die der anderen Person stellt.
Beispiel: Er oder sie hat ein Jobangebot im Ausland erhalten. Das würde den bisherigen Plan von Hausbau und Familiengründung erst einmal für einige Jahre auf Eis legen. Das würde Sprachkurse bedeuten, die Aufgabe des Freundeskreises, große Distanz zu anderen Familienmitgliedern, Jobsuche der oder des anderen...
Natürlich ist auch hier die große Frage eine emotionale: "Bleiben wir zusammen oder trennen wir uns nun?" Die Angst vor dem Verlust der geliebten Person beeinflusst selbstverständlich die Art, wie die Diskussion ausgetragen wird, doch weil die Fortführung der Beziehung der eigentlichen Entscheidung nachgelagert scheint, stehen die Argumente vermeintlich zunächst einmal im Vordergrund.
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Bei Lebensentscheidungen geht es um geteilte Träume
Wie können Paare vorgehen, wenn eine wichtige Entscheidung ansteht?
Von Professor John Gottman gibt es eine Intervention, die in einem solchen Konflikt helfen kann: Träume innerhalb eines Konfliktes. Wie der Name bereits sagt, liegt hier der Schwerpunkt darauf, die Träume der Partnerin oder des Partners besser zu verstehen, die dem Problem zugrunde liegen. Das erfolgt in unterschiedlichen Rollen, der traumerzählenen und der traumfangenden Person (der/m Zuhörer*in).
Schritt 1: den Traum erzählen
Die Aufgabe der traumerzählenden Person ist es, ehrlich über ihre Gefühle und Überzeugungen hinsichtlich ihrer Position zu diesem Thema zu sprechen: herausfinden und erläutern, was die Position bedeutet, welcher Traum ihr zugrunde liegt. Erzählen, woher dieser Traum oder diese Überzeugung kommt und was es symbolisiert. Dabei unbedingt klar und ehrlich sein: Was will man wirklich in dieser Frage? Warum ist das Thema wichtig? Die Position so erläutern, dass die oder der andere sie versteht.
Dabei soll die traumerzählende Person keine (!) Argumente für den Standpunkt vorbringen und nicht versuchen, die Partnerin oder den Partner vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Sie soll einfach erläutern, wie sie die Dinge sieht.
Die Aufgabe der traumfangenden Person ist es, zuzuhören, der Partnerin oder dem Partner ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Die traumerzählende Person soll sich sicher genug fühlen, ihre Position in dieser Frage zu erläutern und von ihren Überzeugungen, Träumen oder Geschichten zu erzählen. Deshalb soll die traumfangende Person so zuhören, wie eine Freundin oder ein Freund zuhören würde. Sie soll nicht versuchen, das Problem zu lösen. Dafür ist es viel zu früh. Zuerst muss der Gegensatz der Träume beendet, Partner*innen wieder Freund*innen und die feindlichen Positionen aufgegeben werden. Die traumfangende Person soll sich bemühen, die Bedeutung des Traums zu verstehen, den sie erzählt bekommen hat. Sie soll Interesse zeigen.
Schritt 2: Den Traum verstehen
Es geht an dieser Stelle nicht um die Problemlösung. Ziel ist es vielmehr, vom Stillstand zum Dialog überzugehen und die Position des Gegenübers zu verstehen. Dazu stellt die/der Zuhörer*in Fragen wie diese:
- Hast du irgendwelche Grundüberzeugungen, ethische oder sonstige Werte, die für deine Position in dieser Frage eine Rolle spielen?
- Steckt eine Geschichte dahinter oder gibt es in irgendeiner Weise einen Bezug zu deiner Herkunft oder deinen Kindheitserfahrungen?
- Sag mir, warum dir das so wichtig ist.
- Welche Gefühle hast du zu diesem Thema?
- Was erträumst du dir diesbezüglich?
- Liegt darin ein tieferer Sinn oder Zweck für dich?
- Was wünschst du dir?
- Was brauchst du?
- Gibt es eine Angst oder Katastrophenvorstellungen, wenn sich dieser Traum nicht erfüllt?
Als Erleichterung für die Beantwortung durch die traumerzählende Person haben sich folgende Beispielträume erwiesen:
Mir geht es bei der Erfüllung dieses Traums um
- ... mein Gefühl von Freiheit
- ... meine Erfahrung von Frieden
- ... Einheit mit der Natur
- ... Erkunden meines eigenen Ichs
- ... Versöhnung mit meiner Vergangenheit
- ... Heilung alter Wunden
- ... das Erreichen all dessen, was ich sein kann
- ... das Erleben eines Machtgefühls
- ... meinen Umgang mit dem Altern und meiner Sterblichkeit
- ... meine kreative Seite
- ... zunehmende Stärke
- ... ein neues Kapitel, das ich in meinem Leben beginnen will
- ... ein altes Kapitel, das ich in meinem Leben abschließen will
Schritt 3: Die Verhandlung
Haben Partnerin und Partner, am besten nacheinander mit vertauschten Rollen, ihre Träume in den oben genannten Schritten erläutert, geht es anschließend um die Verhandlung. Die sollte nach diesem Austausch erheblich leichter fallen. Wichtig ist, dabei immer an diese beiden Aspekte zu denken:
- Es geht nicht darum, zu gewinnen und die Beziehung so zu beeinflussen, dass der Traum der Partnerin oder des Partners zerstört wird. Beide sollten die Träume des anderen unterstützen. Können sie kombiniert werden: umso besser.
- Beide sollten miteinander verhandeln wie zwei Personen, die sich lieben, bei allen Unterschieden Partnerin und Partner bleiben, die gemeinsam eine Lösung finden wollen – und nicht zu Gegner*innen werden!
➔ Mehr Infos zu unserem Experten Eric Hegmann findest du hier, und hier geht's zur Modern Love School. Dort gibt es auch passende Online-Kurse zum hier besprochenen Thema.
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