Empty-Nest-Syndrom: Wie Paare ohne ihre Kinder zurechtkommen
Da haben sich Mütter und Väter all die Jahre übers Elternsein definiert – und dann kommt der Tag, an dem der Nachwuchs auszieht: Das Nest ist plötzlich leer... Vielen Paaren fällt es schwer, in die Zweisamkeit zurückzufinden. Kennst du das auch? Was sich gegen das sogenannte Empty-Nest-Syndrom tun lässt.
Alle Eltern kennen das Gefühl, wenn die Kleinen gefühlt auf einmal groß und erwachsen sind, ihre Siebensachen zusammenpacken und von zu Hause ausziehen. Da können Mütter und Väter sich zusammenreißen, wie sie wollen: Das Gefühl der Leere, die sich plötzlich auftut, lässt sich kaum unterdrücken: Schließlich hat sich so viele Jahre der Großteil des Lebens um die Kinder gedreht.
Und jetzt, neben der Trauer, sollen Mama und Papa sich plötzlich wieder in erster Linie als Paar verstehen, nachdem ihre Aufgabe als Eltern vorbei ist? Gar nicht so einfach. Wie schaffen es Paare, diese Hürde zu nehmen? Was kann ihnen dabei helfen?
Carolyn Litzbarski begleitet mit ihrer Online-Beziehungspraxis Einzelpersonen und Paare dabei, trotz und mit allen Unterschieden Beziehungsherausforderungen zu bewältigen. Ihr aktuelles Buch "Halt die Klappe, ich liebe dich" befasst sich viel mit Kommunikation innerhalb von Partnerschaften – und wie wichtig sie für eine gelingende Beziehung ist. Mit BILD der FRAU hat sie über das Empty-Nest-Syndrom gesprochen.
Empty-Nest-Syndrom: Wie es Paaren gelingt, das Zusammenleben neu zu definieren
Liebe Frau Litzbarski, was genau ist das Empty-Nest-Syndrom und warum trifft es Eltern so häufig?
Das Empty-Nest-Syndrom tritt auf, wenn erwachsene Kinder ausziehen und die Eltern im leeren Nest zurückbleiben. In dieser Phase kann es zu Belastung oder sogar depressiven Zuständen kommen. Nach all den Jahren als Eltern muss die Elternrolle plötzlich angepasst werden. Gleichzeitig fallen viele Aufgaben weg, Eltern haben wieder mehr Zeit für sich. Diese wichtige Übergangsphase geht mit vielen Veränderungen einher, deshalb wird sie von Betroffenen oft intensiv erlebt.
Vor allem Frauen sind vom Empty-Nest-Syndrom betroffen. Warum?
Das kann verschiedene Gründe haben. Studien zeigen, dass das Empty-Nest-Syndrom besonders belastend erlebt wird, wenn zusätzliche Probleme auftreten wie zum Beispiel Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Wenn mehrere Herausforderungen gleichzeitig auftreten, kann dies die Belastung verstärken. Bei Frauen kann die Zeit des "leeren Nests" zeitgleich mit den hormonellen Veränderungen der Wechseljahre zusammentreffen und damit die wahrgenommene Belastung steigern. Frauen setzen oft jahrelang ihre beruflichen Bedürfnisse zurück und identifizieren sich stark mit ihrer Rolle als Mutter. Der Auszug der Kinder kann sie daher stärker treffen, da ein Teil ihrer Identität wegbricht und sie sich möglicherweise unsicher fühlen, welche Rolle sie jetzt einnehmen sollen.
Jetzt geht es darum, sich als Paar wieder zu entdecken
Warum laufen Paare Gefahr, dass ihre Beziehung nach dem Auszug des Nachwuchses zerbrechen könnte?
Nach dem Auszug der Kinder haben Paare plötzlich "nur" noch einander. Das gab es zuletzt in der Paarfindungsphase und vor der Familiengründung! Die Aufgabe besteht darin, sich nun wieder als Paar zu entdecken.
In der Familienphase hat ein Paar die Aufgabe, immer wieder die Balance zwischen Eltern- und Paarsein zu finden. Wenn die Beziehung über lange Jahre an letzter Stelle stand, führt das spätestens in der Empty-Nest-Phase zu Herausforderungen. Nun wird die Entfremdung deutlich – Paare haben den Eindruck, keine Verbindung mehr zu haben.
Doch diese Zeit ist wie jede Beziehungsherausforderung wie eine Weggabelung: Paare haben die Chance, die Empty-Nest-Situation als "zweite Flitterwochen" zu nehmen und neu zueinander zu finden.
Was können Eltern konkret tun, um dem Syndrom zu entkommen?
Wenn Kinder zu jungen Erwachsenen werden und der Auszug ansteht, können sich Eltern die Frage stellen: Was gibt es noch außer meiner Elternrolle?
Neben dem Fokus auf (neue) berufliche Aufgaben und Rollen geht es auch darum, sich wieder auf die Paarrolle zu konzentrieren. Jetzt ist der Moment, sich wieder ohne schlechtes Gewissen Paarinseln zu schaffen, d.h. gemeinsame Zeit zu verbringen. Wer nicht gleich einen Paarurlaub machen möchte, kann bereits im Alltag kleine Oasen schaffen. Zum Beispiel gemeinsam Zeitung lesen und diskutieren, neue Gerichte ausprobieren oder mal wieder Hand in Hand spazieren. Sie können auch durch Alltagsgespräche wieder zueinander finden durch Fragen wie "was denkst du darüber?", "was beschäftigt dich gerade am meisten?" oder "wie kann ich dich heute unterstützen?".
Wenn Eltern das Empty Nest unterschiedlich belastend erleben, können sich beide unterstützen. Die Beziehung gilt übrigens als Resilienzfaktor, d.h. eine solide Beziehung stärkt die seelische Widerstandsfähigkeit. Ein guter Grund, sich ihr zu widmen.
Bereite dich darauf vor: Kinder ziehen ja nicht ganz plötzlich aus
Was lässt sich schon im Vorfeld tun, wenn die Kinder noch nicht ausgezogen sind?
Glücklicherweise ist es selten so, dass Kinder ganz plötzlich ausziehen und nie wieder kommen. Vielmehr lösen sich junge Erwachsene nach und nach und ziehen z.B. vorübergehend nach dem Studium wieder zu Hause ein als sogenannte "Boomerang-Kinder".
Den Raum, der dadurch immer wieder frei wird, können Eltern für sich nutzen.
Überlege, was außerhalb deiner Rolle als Elternteil noch wichtig ist und welche anderen Aufgaben du erfüllst.
Widme dich immer wieder auch deiner Beziehung. Kannst du ein gemeinsames Hobby von früher aufleben lassen oder ein neues gemeinsames Hobby ausprobieren? Auch der Alltag bietet viele Möglichkeiten für Verbindung, zum Beispiel durch gemeinsame Gespräche und bewusstes Zuhören.
Ihr persönlicher Tipp an alle Betroffenen?
Keine Angst vor dem Empty Nest! Betrachte deine Beziehungsprobleme als Entwicklungsaufgaben und baue auf bereits bewältigten Herausforderungen auf. Ein erster Schritt dafür ist Kommunikation. Beginne doch direkt heute mit der Frage: "Was beschäftigt dich gerade?"
Carolyn Litzbarski befasst sich als Systemische Beraterin mit allen Herausforderungen, die eine Paarbeziehung so mit sich bringt. Die Kommunikation spielt dabei oft eine große Rolle. In ihrem zweiten Buch "Halt die Klappe, ich liebe dich"* fasst die Sozialpädagogin ihre Erfahrungen aus dem Beratungsalltag zu einer einfachen Anleitung für gelingende Paarkommunikation zusammen.
→ Mehr über unsere Expertin erfährst du auf deren Homepage "Beziehungscoaching für eine gesunde und erfüllende Beziehung".
Hach ja, Eltern:
- Wie prägend ist es eigentlich, was Mama und Papa uns vorgelebt haben? Lies mal, wie der Einfluss bzw. die Beziehung der Eltern unser Liebesleben formt
- Weißt du, warum Mütter und Väter das Wort "Nicht" aus ihrer Erziehung streichen sollten
- Und auch das betrifft nicht nur unsere Eltern, aber doch mehrheitlich, wenn eine*r von beiden plötzlich einsam ist: Was tun, wenn die oder der Liebste stirbt?
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