Brustkrebs: Ratschläge für Partner und Partnerinnen, um Unterstützung und Nähe zu bieten
Eine Brustkrebs-Diagnose wirkt sich nicht nur auf Körper und Geist aus, sondern auch auf das Liebesleben der Betroffenen. Was können Partner und Partnerinnen tun, um die Situation zu erleichtern? Psychoonkologin Regina Livchits gibt im Interview mit BILD der FRAU Tipps und Ratschläge dazu.
Jährlich erhalten in Deutschland 69.700 Frauen die Diagnose Brustkrebs. Eine Nachricht, die oftmals von tiefgreifendem Schock gefolgt ist. Neben den körperlichen und psychischen Auswirkungen können auch die Beziehung und das Sexualleben unter der Behandlung leiden. Aber gibt es denn nichts, was Lebensgefährten und Lebensgefährtinnen tun können, um ihrer besseren Hälfte im Kampf gegen den Krebs und in der Zeit danach zu unterstützen?
Interview mit einer Psychoonkologin: Wie Brustkrebs die Sexualität beeinflusst
BILD der FRAU hat mit der Psychoonkologin Regina Livchits über das Thema Brustkrebs und Partnerschaft gesprochen. Im Interview erzählt die klinische Sexologin mit eigener Praxis in Berlin, was Partner*innen tun können, um die Betroffenen zu unterstützen.
05.05.2024 – 12.30 Uhr LIVESTREAM 1
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen – jede achte ist im Laufe ihres Lebens betroffen. Die Überlebenschancen sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, auch dank neuer Entwicklungen. Wichtig ist bei Diagnose und auch im Therapieverlauf der Arzt-Patientinnen-Dialog. Wie dieser gut gestaltet werden kann, wird hier besprochen, ebenso das Rezidivrisiko. Dabei geht es auch um neue Ansätze der Behandlungsmöglichkeiten und die Wichtigkeit der Therapietreue.
Dieses und viele weitere wichtige Themen wird es auf der YES!CON am 4. und 5. Mai 2024 in Berlin geben. Die YES!CON by yeswecan!cer ist die erste digitale Krebs-Convention Deutschlands von und für Betroffene. In verschiedenen Panels geht es mit Expert*innen, Ärzt*innen und Betroffenen um Innovationen, Informationen, Austausch und vieles mehr.
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BILD der FRAU: Mit welchen Problemen sehen sich die Betroffenen in ihrem Sexual- und Liebesleben konfrontiert?
Regina Livchits: Brustkrebsbetroffene sehen sich in ihrem Sexual- und Liebesleben mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Diese Probleme können sich aufgrund der Erkrankung und der damit verbundenen Behandlungen ergeben:
1. Verminderte Empfindung
Viele Frauen erleben eine Abnahme ihrer sexuellen Empfindungen, die früher erregend waren. Behandlungen und Therapien können dazu führen, dass diese Empfindungen stumpf oder taub werden. Oft ist mehr Druck oder Reibung sowie mehr Zeit erforderlich, um den gleichen Effekt zu erzielen.
2. Sorge um die Funktionsfähigkeit und Erregbarkeit
Insbesondere bei starken medizinischen Eingriffen wie Operationen oder Chemotherapie haben Frauen oft Ängste, ihre sexuelle Funktionsfähigkeit und Erregbarkeit zu verlieren. Dies ist eine natürliche Reaktion des Körpers, um sich vor starken Schmerzen und Nebenwirkungen zu schützen.
3. Psychophysiologische Dissoziation
In manchen Fällen kann es zu einer Dissoziation auf psychophysiologischer Ebene kommen, bei der angenehme Berührungen nicht mehr wahrgenommen werden. Dies kann die sexuelle Erfahrung weiter beeinträchtigen.
4. Einfluss von Medikamenten und Therapien
Medikamente und Therapien können ebenfalls die sexuelle Funktion beeinträchtigen. In einigen Fällen kann ein Wechsel zu Medikamenten mit weniger Nebenwirkungen in Erwägung gezogen werden.
5. Fehlende Kommunikation
Oft wird das Thema Sexualität von medizinischem Fachpersonal nicht von Anfang an angesprochen. Dies kann dazu führen, dass die Patientinnen denken, ihr Sexualleben sei abgeschlossen und dass es nicht mehr existiere. Die fehlende Kommunikation kann zusätzlichen emotionalen Stress verursachen.
6. Vorhandene sexuelle Probleme
Viele Brustkrebsbetroffene hatten bereits vor der Diagnose sexuelle Probleme. Diese können sich durch die Erkrankung und die Behandlungen weiter verschlimmern.
7. Einfluss auf die Partnerschaft
Die Qualität der Partnerschaft und die Zufriedenheit mit der Sexualität vor der Behandlung spielen eine bedeutende Rolle bei der Vorhersage von sexuellen Funktionsstörungen nach der Diagnose und Therapie. Sexuelle Probleme können zu Spannungen in der Partnerschaft führen.
Brustkrebsbetroffene sehen sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen in ihrem Sexual- und Liebesleben konfrontiert, die sowohl physischer als auch emotionaler Natur sind. Eine offene Kommunikation mit medizinischem Fachpersonal und die Unterstützung durch Sexualberater*innen und Psychoonkolog*innen können dazu beitragen, diese Probleme zu bewältigen und die Lebensqualität zu verbessern.
"Partner*innen sollten sich darauf einstellen, gemeinsam mit ihrer Liebsten neue Definitionen von Sexualität zu erkunden"
Wie können Partner*innen den Betroffenen in dieser Situation beistehen?
Partner*innen können den Betroffenen in der Situation einer Brustkrebsdiagnose auf verschiedene Weisen beistehen. Eine entscheidende Unterstützung ist es, Einvernehmen mit ihrer Partnerin über den Umgang mit der Erkrankung zu erzielen. Offene Kommunikation ist der Schlüssel, um Ängste und Bedenken zu teilen und gemeinsam Wege zu finden, wie sie die Krankheit gemeinsam bewältigen können.
Die sexuellen Empfindungen und Verhaltensweisen können bei Frauen, die von Brustkrebs betroffen sind, sehr unterschiedlich sein. Ein einfühlsamer Ansatz bedeutet, sich auf die individuellen Bedürfnisse und Gefühle der Partnerin einzustellen. Dies kann bedeuten, Geduld und Verständnis aufzubringen, wenn sie leidet, oder ihre Reaktionen zu akzeptieren, selbst wenn sie in Form von Gleichgültigkeit oder Erleichterung auftreten.
Nach einer Brustoperation und während der Behandlung ist es wichtig zu wissen, dass eine erfüllende Sexualität bei vorhandenem Wunsch beider Partner*innen in der Regel weiterhin möglich ist. Sollte es zu bleibenden körperlichen Einschränkungen kommen, ist es entscheidend, die gemeinsame Kommunikation aufrechtzuerhalten und neue Wege zu finden, um Intimität und Zärtlichkeit zu erleben. Eine psychoonkologische Sexualtherapie kann hierbei eine hilfreiche Unterstützung bieten, wenn die Kommunikation über Sexualität schwierig ist oder der Aufbau neuer Formen körperlicher Nähe erforderlich ist.
Es ist unerlässlich, dass Partner*innen in dieser Situation dazu beitragen, dass sich ihre bessere Hälfte seelisch geborgen fühlt und ihr die Sicherheit geben, ihre Gefühle auszudrücken. Dies kann bedeuten, dass sich die Art der Partnerschaft verändert, aber dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der Krankheit.
Partner*innen sollten sich darauf einstellen, gemeinsam mit ihrer Liebsten neue Definitionen von Sexualität, Bedürfnissen und Zielen zu erkunden. Die Erkrankung kann den früheren Zustand möglicherweise nicht wiederherstellen, aber die gemeinsame Anstrengung, neue Strategien zu entwickeln, um Funktionsverluste teilweise wiederherzustellen, ist von Bedeutung. Die Einbeziehung des Partners/der Partnerin und die Unterstützung in Form von Paartherapie können entscheidend sein, um diesen Prozess zu begleiten und Verständnis für den individuellen Bewältigungsweg der Krankheit aufzubauen.
Wie kann mit Veränderungen umgegangen werden?
Um mit Veränderungen der Sexualität bei einer Brustkrebserkrankung umgehen zu können, ist eine gute partnerschaftliche Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Diese bildet die Grundlage für die Initiierung eines Veränderungsprozesses. Durch offene Gespräche können Bedürfnisse und Wünsche kommuniziert werden, die essenziell für eine befriedigende Sexualität sind. Neben dem Dialog über Sexualität sind konkrete Ansätze wie Handlungsanweisungen und Übungen notwendig, um Veränderungen zu bewirken.
Sexuelle Probleme können nicht allein durch Gespräche gelöst werden, sondern erfordern aktives Üben. Ressourcenstärkende Interventionen wie Informationsvermittlung, Gruppenaustausch, Entspannungsübungen, aktive Wahrnehmungs- und Fokussierungstechniken, Übungen zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien, Selbsterkundungsübungen und Berührungsübungen können hierbei unterstützend wirken.
Eine Brustkrebserkrankung stellt nicht nur eine lebensbedrohliche Herausforderung dar, sondern betrifft auch die weibliche Identität, das Selbstwertgefühl und die Sexualität. Sowohl die Krankheit selbst als auch die Therapiemaßnahmen können körperliche Faktoren sein, die sexuelle Störungen verursachen. Es ist wichtig, den Körper nach Verlusten neu zu akzeptieren, sich neu zu orientieren und sich wieder darin wohlzufühlen.
Veränderungen müssen kein Ende der sexuellen Erfahrungen bedeuten
Je mehr in die eigene Sexualität vor der Erkrankung investiert wurde, desto besser können Frauen trotz Nebenwirkungen angenehme und lustvolle Empfindungen erleben. Eine Empfehlung ist es, sich nicht auf das Fehlende zu konzentrieren, sondern auf das, was noch vorhanden ist, selbst wenn es sehr klein erscheint. Eine offene Haltung und die bewusste Wahrnehmung von angenehmen Gefühlen, Erregung und Entspannung können die sexuelle Lust und Erregung wiederbeleben.
In vielen Fällen können eine sexualtherapeutische Beratung und das frühzeitige Einholen von Informationen dazu beitragen, chronische sexuelle Störungen zu verhindern. Trotz der Herausforderungen, die eine Brustkrebserkrankung mit sich bringt, verdient der Körper großen Respekt, da er oft die erstaunliche Fähigkeit hat, sich wieder zu regenerieren.
Der Umgang mit Veränderungen der Sexualität bei einer Brustkrebserkrankung erfordert also eine Kombination aus Kommunikation, Übungen, positiver Selbstwahrnehmung und, wenn nötig, professioneller Unterstützung. Es ist wichtig zu verstehen, dass Veränderungen auftreten können, aber dies nicht das Ende der sexuellen Erfahrungen bedeutet. Mit der richtigen Herangehensweise und Unterstützung ist eine erfüllende Sexualität auch nach einer Brustkrebserkrankung weiterhin möglich.
Auch nach der Genesung ist Arbeit an der Beziehung notwendig
Welche Auswirkungen hat eine Brustkrebserkrankung auf die Partnerschaft der Betroffenen nach einer Genesung?
Eine Brustkrebserkrankung kann nach der Genesung erhebliche Auswirkungen auf die Partnerschaft der Betroffenen haben. Langzeitfolgen, insbesondere im sexuellen Bereich, sind weit verbreitet. Nach der Behandlung kann es einige Zeit dauern, bis sich Körper und Psyche normalisieren. Die Veränderungen im eigenen Körper können dazu führen, dass die Sexualität sich neu finden muss, was oft frustrierend ist und dazu führen kann, dass man sich gegenüber neuen Erfahrungen verschließt.
In Partnerschaften, in denen eine Frau an Brustkrebs erkrankt, kann die Kommunikation beeinträchtigt werden. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Themen vermieden werden, was die Kommunikation erschwert und zu Beziehungsproblemen und Schweigen führen kann. Die Spontanität im sexuellen Kontext geht oft verloren, und beide Partner*innen können sich in der Kommunikation zurückhalten, was zu Distanzierung und Entfremdung führen kann, bis hin zur Trennung.
Partner*innen können sich aufgrund von Unsicherheiten zurückhalten, um ihre Freundinnen zu schonen, was zu Spannungen führt und die Frauen glauben lässt, dass sie nicht mehr attraktiv sind. Dies kann dazu führen, dass Paare nach der Genesung nicht nur auf Geschlechtsverkehr, sondern auch auf jede Form von Sexualität, Zärtlichkeit und Körperkontakt verzichten.
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist Offenheit und Vertrauen notwendig. Paare, die bereits vor der Erkrankung offen über ihre Gefühle gesprochen haben, können möglicherweise besser mit dieser Phase der existenziellen Bedrohung umgehen. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Körper weiterhin empfänglich für Zärtlichkeit und erregende Berührungen ist, und gemeinsames Erkunden kann die Freude an der Intimität wiederherstellen.
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier lesen: Brustkrebs: Wie sich deine Sexualität und dein Liebesleben als Betroffene verändern kann