Wenn Alkohol zur Gewohnheit wird: Kann Sucht in der Beziehung gutgehen?

Eine Sucht wirkt sich auf alle Lebensbereiche negativ aus, auch auf die Beziehung. Was tun, wenn Alkohol und / oder Drogen ein Paar fest im Griff hat? Oder nur eine*n von beiden? Was eine Suchtexpertin sagt.
Mal wieder ordentlich gefeiert? Und dabei zu tief ins Glas geschaut, zu viel Drogen konsumiert? Sich regelmäßig wegzuschießen, ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine ernstzunehmende Sucht, die auch Folgen für eine Beziehung hat!
Du erinnerst dich bestimmt an die vor nicht allzu langer Zeit öffentlich vor Gericht ausgetragene Schlammschlacht zwischen Johnny Depp und Exfrau Amber Heard! Die gegenseitigen Anschuldigungen waren voll von Vorwürfen extremen Alkohol- und Drogenmissbrauchs, vor allem aber den fürchterlichen Folgen, die daraus resultierten. Ein würdeloser, fast mitleiderregender Anblick, den die beiden da boten: Das kann niemand wollen!
Carolyn Litzbarski war als Sozialpädagogin lange in der Suchthilfe tätig. Heute arbeitet sie in einer Online-Beziehungsspraxis und begleitet sowohl Einzelpersonen als auch Paare dabei, wichtige Beziehungsfähigkeiten wie Kommunikaition und Abgrenzung zu erlernen. Mit BILD der FRAU hat die Partnerschafts-Expertin über Sucht innerhalb einer Beziehung gesprochen, was das mit Menschen macht und wie der Teufelskreis durchbrochen werden kann.
Zuviel Alkohol, Drogen... Sucht in der Beziehung: Kann das gutgehen?
BILD der FRAU: Liebe Frau Litzbarski, erhöhter Alkohol- oder Drogenkonsum in der Beziehung: ein häufiges Problem?

Carolyn Litzbarski: Insgesamt drei MiIIionen Erwachsene weisen in Deutschland laut Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen eine alkoholbezogene Störung auf. Das umfasst sowohl den Alkoholmissbrauch (1,4 Millionen) als auch die Alkoholabhängigkeit (1,6 Millionen). Zum Vergleich: Schätzungen bei den illegalen Rauschmitteln belaufen sich auf gerade mal eine halbe Million.
Wir können davon ausgehen, dass ein Großteil der Menschen in einer Beziehung ist. Konsum und Beziehung schließen sich also nicht aus! Allerdings wirken sich missbräuchlicher Konsum, vor allem wenn er in Richtung Sucht geht, auf die Person, die Psyche, das Verhalten – und auf die Beziehung aus!
Angehörige geben zum Beispiel an, den geliebten Menschen gar nicht mehr zu erkennen! Ein Rausch ist eng begleitet von Kontrollverlust. Es kann im Rausch zu verbalen oder körperlichen Entgleisungen kommen. Wird der Rausch zur Sucht, verschleiern Betroffene oftmals, dass sie ein Problem haben. Es gibt Betroffene, die ohne das Wissen der oder des anderen das gemeinsame Konto (oder das der /des anderen) plündern, um z.B. den Konsum zu finanzieren.
Es bricht also ein großer Teil des Beziehungsfundaments weg – Vertrauen und Ehrlichkeit. Man kann also sagen: Missbräuchlicher Konsum von Rauschmitteln, egal ob legal oder illegal, ist potenziell schädlich für jede Beziehung. Studien zeigen zum Beispiel, dass Suchtkranke höhere Scheidungsraten aufweisen.
Wie wirkt sich Konsum auf die Beziehung aus?
Hier können sich unterschiedliche Facetten zeigen. Die eine Person trinkt oder konsumiert zum Beispiel "quartalsmäßig", also mit zeitlichem Abstand, dafür bis zur Eskalation. Diese Entgleisungen sind für das Umfeld entweder peinlich, gefährlich oder führen zu Konflikten (viele Substanzen enthemmen und fördern die Aggression).
Das hat sich beim Prozess von Johnny Depp und Amber Heard gezeigt. Das Videomaterial, das Frauenschwarm Depp im berauschten Zustand zeigte, hatte sicherlich viele Fans verstört.
Es muss allerdings nicht immer zur Eskalation kommen. Es gibt Konsummuster, in denen Betroffene regelmäßig bis hin zu täglich konsumieren, ohne dass es auffällt. Da kann es schon mit dem Wodka im Morgen-Kaffee anfangen. Tatsächlich "braucht" die betroffene Person die Substanz, um überhaupt im Alltag zu funktionieren. Das ist oftmals schwer zu erkennen.
Problem verminderte Selbstkontrolle: Rauschmittel wirken enthemmend
Wie ist es, wenn beide Personen viel und missbräuchlich konsumieren?
Beziehungen, in denen der Rausch zur gemeinsamen Freizeitgestaltung gehört, sind besonders tragisch. Es kann damit anfangen, dass beide gerne feiern und sich ausprobieren. Immerhin ist es ja toll, gemeinsam eine gute Zeit zu haben.
Das Problem: Es entsteht ein ungesunder Lerneffekt.
Rauschmittel aktivieren sowieso unser körpereigenes Belohnungssystem. Wir fühlen uns gut – und das wollen wir wiederholen. Nach ein paar Wiederholungen entsteht eine Art Verknüpfung: Gemeinsame Zeit im Rausch ist toll. Für das Paar wird es schwer, andere gemeinsamen Aktivitäten zu finden, die auf dieselbe Art und Weise einen Belohnungseffekt auslösen. Der Spaziergang, der Ausflug oder das Kino sind dann schnell langweilig. Und dann gibt es halt irgendwann nur noch das Volksfest mit zu viel Alkohol oder der Rave mit zu viel Pillen, um in Verbindung zu sein.
Und noch ein weiterer kritischer Effekt kommt hinzu, und das konnten wir beim Prozess Depp/Heard sehen: Die meisten Rauschmittel wirken enthemmend. Wenn ein Paar Konfliktthemen hat, kann es im Rausch dazu kommen, dass diese noch mehr aufploppen. Wer sich nüchtern schon über die/den anderen ärgert, sich nicht geliebt fühlt oder mit Eifersucht kämpft, kommt im Rausch auf die Idee: Das klären wir jetzt! Ist die/der andere auch berauscht, steigt sie oder er möglicherweise intensiv in den Konflikt ein. Daraus entsteht ein Diskussions-Teufelskreis, den beide vermutlich nicht so einfach durchbrechen können. Es ist ja für Paare schon nüchtern herausfordernd, emotionale Diskussionen zu stoppen. Man stelle sich das mal mit verminderter Selbstkontrolle vor!
Übrigens: Versöhnung im Rausch ist kritisch. Hier kann die Lernerfahrung entstehen: Wir brauchen Rauschmittel, um unsere Themen anzugehen und uns wieder zu versöhnen.
Etablierte Gewohnheiten müssen durchbrochen und verändert werden
Kann man die Beziehung als eine Art Ressource verstehen?
Grundsätzlich gilt: Die Beziehung ist ein günstiger Faktor für Gesundheitsverhalten. Einerseits geben soziale Beziehungen Rückhalt und tatkräftige Unterstützung. Andererseits ist z.B die Partnerschaft oder die Familie für viele Menschen ein Anreiz, überhaupt erst einmal auszusteigen und Motivation zur Abstinenz aufzubauen.
Außerdem wirken sich gesunde soziale Beziehungen günstig auf die Aufrechterhaltung von Abstinenz aus.
Neigen beide zu eher ungesunden Konsumgewohnheiten, können sich beide motivieren. Es kann Spaß machen, gemeinsame Ersatzhandlungen zu finden, die ebenfalls das Belohnungssystem aktivieren (z.B. Sport) und die Verbindung stärken.
Natürlich kann das kippen. Das musste ich in den suchttherapeutischen Einrichtungen oft beobachten: Da sind Paare gemeinsam rückfällig geworden und/oder haben die therapeutische Behandlung gemeinsam abgebrochen.
Was können Paare also können, für die Alkohol bzw. Rauschmittel ein Thema sind?
Fühlen Sie sich ertappt? Besteht Ihre gemeinsame Freizeitgestaltung auch aus dem ein oder anderen Exzess?
Erst einmal: Es ist toll, dass Sie in Ihrer Beziehung nach Verbindung und gemeinsamen Aktivitäten streben. Diese müssen allerdings nicht im Rausch enden.
Gewöhnen Sie sich an, nicht mehr gemeinsam auf Veranstaltungen zu gehen, die in Verbindung zu Konsum stehen. Wenn Sie gemeinsam gehen wollen, vereinbaren Sie gemeinsam Trinkgrenzen, oder bleiben Sie am besten ganz nüchtern. Das Ziel ist: eine etablierte Gewohnheit verändern.
Suchen Sie gezielt andere genussvolle Aktivitäten. Gemeinsame Sportaktivitäten, Paar-Wellness, gutes Essen. Sie werden merken: Diese Art von Verbindung ist wertvoll!
Suchen Sie sich bei Bedarf Unterstützung, um Ihre Verbindung ohne Konsum zu stärken, z.B. in Form von Paartherapie.
Das größte Versäumnis ist, nichts zu machen
Was tun, wenn eine*r zu viel trinkt oder konsumiert?
Haben Sie das Gefühl, der Konsum des Partners oder Partnerin nimmt überhand?
Offene Kommunikation ist hier hilfreich!
Dabei geht es nicht darum, dass Sie der oder dem anderen eine Diagnose geben. Es geht darum, dass Sie offen und beschreibend Ihre Beobachtung schildern und Gedanken und eventuelle Sorgen teilen.
Befragt man Abhängigkeitserkrankte, geben diese oft an: "Ich wünschte, jemand hätte mir früher etwas gesagt." Das größte Versäumnis ist, aus Scham oder anderen Motiven nichts zu machen und nichts zu sagen. Deshalb: nur Mut!
Kann man dabei auch sehr viel falsch machen?
Es gibt zwei Stolperfallen: Nichts tun und zu viel tun. Der Übergang von partnerschaftlicher Unterstützung hin zu einer ungesunden "Retter-Rolle" ist fließend! Letzteres bedeutet eine ungünstige Rollenverschiebung, die der Beziehung langfristig schadet.
Deshalb: Setzen Sie Grenzen, was die partnerschaftliche Unterstützung angeht. Signalisieren Sie: Ich bin bis zu dem Punkt (…) für dich da, und das (…) fordere ich von dir. Wenn die/der andere sich nicht helfen lassen will, suchen Sie für sich fachliche Unterstützung im Umgang mit der Situation.
Eine Suchtberatungsstelle kann eine gute Anlaufstelle sein, unter Umständen auch ein Beziehungs-Coaching, in dem Sie lernen, Grenzen zu setzen.
→ Mehr über unsere Expertin erfährst du auf deren Homepage "Beziehungscoaching für eine gesunde und erfüllende Beziehung".
Mehr zum Thema:
Heiße Nächte? Warum Alkohol dabei mehr schadet als hilft.
Auch für diese Artikel stand Carolyn Litzbarski uns schon Rede und Antwort:
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