Wenn eine Person mehr empfindet

Unausgewogene Liebe: Hat eine Beziehung dann eine Chance?

Ein reifer Mann und seine Frau stehen in der Küche, er beruhigt sie und legt ihr beschwichtigend die Hände auf die Schultern.
© Adobe Stock / InsideCreativeHouse
Dass Partner*innen sich innerhalb einer Beziehung genau gleich stark lieben, geht natürlich nicht. Aber was ist, wenn der Unterschied als zu groß wahrgenommen wird? Was ein Experte dazu sagt.

"Du liebst mich nie so sehr wie ich dich!" Hat eine Beziehung noch eine Chance, wenn dieser Vorwurf laut wird? Ein Experte beleuchtet das Thema für uns.

Eine Beziehung ohne Liebe: schwer vorstellbar. Normalerweise wollen doch alle von der Partnerin oder vom Partner geliebt werden. Schließlich macht das aus (meist) zwei Personen ein Paar. Leider kommt es aber gar nicht so selten vor, dass sich nicht beide Partner*innen gleich stark geliebt fühlen.

Heißt im Umkehrschluss: Mitunter leidet eine Person innerhalb einer Beziehung darunter, von der anderen nicht so sehr geliebt zu werden, wie sie sich das wünscht – und wie sie selbst zu lieben meint. Logisch, dass es dann zu Frust und darüber hinaus auch zu Konflikten kommt. Wer fühlt sich schon gut dabei, nicht ausreichend geliebt zu werden?

Das sind die Anzeichen dafür, dass deine Gefühle nicht wahrgenommen werden

Eric Hegmann kennt diese Problematik aus seiner Arbeit als Paarberater – zu Beziehungsthemen aller Art bietet er in seiner Modern Love School zahlreiche Online-Kurse an. Mit BILD der FRAU hat der Partnerschafts-Experte über das Thema gesprochen.

Was tun, wenn eine Person innerhalb einer Beziehung mehr liebt als die andere?

BILD der FRAU: Ein Partner, der sich nicht genug geliebt fühlt, eine Partnerin, die nach eigenem Empfinden mehr liebt als ihr Partner: Was ist dran an dieser Gefühlslage?

Paar-Therapeut Eric Hegmann | © Robert Hilton
Foto: Robert Hilton
Eric Hegmann, Paarberater und Parship-Coach aus Hamburg

Eric Hegmann: "Du hast mich nie so sehr geliebt wie ich dich!" Dieser Vorwurf, manchmal ist es auch Resignation, ist in der Paartherapie häufig zu hören. Dahinter steckt viel Schmerz, viel enttäuschte Hoffnung und vielleicht sogar der Eindruck, viele, viele Jahre vergeudet zu haben. Eine aufgeflogene Affäre, ebenfalls verletzend, ist im Vergleich für viele Paare weniger niederschmetternd. Eine Affäre kann Folge einer temporären Entfremdung sein, die eben auch eine Annäherung wieder möglich macht. Nicht – oder zu wenig – geliebt zu werden, klingt unveränderbar.

Nach meiner Erfahrung ist das aber nicht zwingend so. Um herauszufinden, ob es sich um ein Kommunikationsproblem handelt oder tatsächlich um einen Mangel an liebevollen Gefühlen, sollte ein Paar die Zeit und Geduld aufbringen, nachzuforschen. Es lohnt sich fast immer. Sogar wenn der schmerzliche Verdacht sich doch bestätigen sollte.

Sich geliebt zu fühlen und geliebt zu werden, ist ein Unterschied

Wie lässt sich das "feststellen", ob man "genug" geliebt wird?

Eine Frage, der Partner*innen nachgehen könnten, lautet: "In welchen Situationen fühle ich mich besonders geliebt?" Diese Frage wirft den Blick auf Situationen, in denen eine starke Verbindung erlebt wird. Manche Menschen nennen hier Rituale aus der Beziehung, andere beschreiben eher allgemein Momente von Zuwendung, von Gesehen und Gehörtwerden oder davon, sich begehrt zu fühlen. Liebe zu spüren, ist sehr individuell und kann nicht wirklich verglichen werden. In der eigenen Wahrnehmung mag es bessere oder schlechtere Liebe geben, in der Paarbeziehung geht es aber eher darum, ob die Liebesbeweise angekommen sind oder nicht.

Liebesempfinden und das Bindungsverhalten

Hat ein solches Defizit-Empfinden etwas mit der Erziehung zu tun?

Wer tief im Inneren überzeugt ist, sich Liebe verdienen zu müssen, weil er oder sie in der Kindheit so geprägt wurde, kann Liebe umgekehrt auch schwer annehmen. Denn der Glaubenssatz "Ich bin nicht gut genug!" sitzt tief und wird gleichzeitig meist verdrängt. Solche Abwehrmechanismen geschehen unbewusst, denn sie sollen die Psyche vor Belastung schützen. Das gelingt nur, wenn sie keine Spuren hinterlassen, sonst wären sie ja belastend. So "übersehen" Betroffene oft Liebesbeweise, weil sie ihre Überzeugung ja sonst in Frage stellen würden – und damit eine Veränderung nötig wäre.

Paar in einem scheinbar intensiven Streit. Der Mann sitzt auf einem Sofa und wirkt nachdenklich und bedrückt, während die Frau im Hintergrund steht und gestikuliert, als ob sie etwas erklärt oder sich beschwert. Die Szene ist dunkel und beleuchtet. | © Getty Images / vm
Foto: Getty Images / vm
Wer meint, er müsse sich Liebe "verdienen", kann sie oft auch nur schwer annehmen.

Wie gehen Betroffene mit diesem Defizit um?

Negative Glaubenssätze kommen immer mit Schutzstrategien einher, die manchmal im Wortsinn das Überleben sichern sollen. Vielleicht haben sich Betroffene angewöhnt, besonders charmant und eloquent zu sein, um zumindest Aufmerksamkeit oder Beachtung zu erfahren, wenn schon nicht Liebe. Das mag wie ein unbefriedigender Tausch klingen, aber für manche ist das in ihrer selbst geschaffenen Komfortzone ausreichend.

Natürlich ist die Situation nicht wirklich komfortabel, wenn sie von außen betrachtet wird, aber es lässt sich irgendwie in ihr einrichten und aushalten. Denn die Probleme sind vertraut und die Lösungsstrategien bewährt. Es gibt viele Glaubenssätze, alle kommen mit ihren eigenen Mechanismen und Dynamiken daher, die eine Zeitlang super funktionieren, irgendwann aber an ihre Grenzen geraten. Meist ist das in einer Zweierbeziehung der Fall, wenn es um echte, tiefgründige Nähe geht.

Die fünf Sprachen der Liebe

Gibt es bei Paaren auch ein kommunikatives Problem, das die mangelnde Liebe erklärt?

Viele Paare sprechen in ihren Liebesbezeugungen auch einfach aneinander vorbei. Der US-amerikanische Paartherapeut Gary Chapman hat dieses in der Praxis sehr häufige Phänomen in seinem Modell "5 Sprachen der Liebe" beschrieben. Menschen bevorzugen demnach eine bis zwei der sogenannten fünf Liebessprachen:

  • Zeit zu zweit
  • Geschenke
  • Hilfsbereitschaft
  • Intimität
  • Lob und Anerkennung.

Eine Person, die Hilfsbereitschaft als Liebesbeweis erlebt, fühlt sich durch Geschenke nicht so sehr geliebt. Und wer sich durch Geschenke besonders geliebt fühlt, empfindet vielleicht wenig bei Intimität. Partner*innen müssten sich in ihren Liebessprachen abstimmen, um einander wirklich verstehen zu können. Sie benötigen eine Übersetzung von Verhaltensweisen in Liebesbeweise.

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Hinzu kommt, dass die Liebessprache, die eine Person favorisiert, auch fast immer die ist, die sie spricht. Wer selbst Geschenke als Liebesbeweis erlebt, macht meist auch selbst gerne und tatsächlich großartige Geschenke. Wer Intimität wünscht, bietet auch Intimität an. Kaum ein Paar spricht allerdings dieselben Liebessprachen, die meisten Partner*innen schätzen einander eher falsch ein. Die Folge ist: Liebe wird nicht als Liebe anerkannt, Partner*innen sprechen tatsächlich aneinander vorbei.

Liebessprachen helfen auch dabei, sich selbst zu verstehen

Aber ist die Liebe in den meisten Beziehung nun ausgewogen oder nicht?

Viele Paare haben den Eindruck, eine Person liebe mehr als die andere. Das mag auch sicher manchmal stimmen, aber nach meiner Erfahrung ist es falsch, dass IMMER eine Person mehr liebt. Häufig verbirgt sich dahinter eher, dass Partner*innen ihre Liebe und Zuneigung unterschiedlich zeigen. Und weil beide ihre Art als die richtige empfinden, wirkt die vermeintlich "falsche" Art der anderen Person wie weniger Liebe.

Bei den fünf Liebessprachen geht es übrigens nicht nur darum, die Partnerin oder den Partner besser zu verstehen, sondern auch sich selbst: Welche Werte und Vorstellungen trage ich in mir und wie wirkt sich das auf die Beziehung aus? Aus vermeintlichen Unterschieden, die bedrohlich wirkten, können so Ergänzungen werden, die das Paar voranbringen.

➔ Mehr Infos zu unserem Experten Eric Hegmann findest du hier, und hier geht's zur Modern Love School. Dort gibt es noch mehr passende Online-Kurse zum hier besprochenen Thema.

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