Wenn die Liebe leidet

Panik statt Lust: Sexologin erklärt, was hinter Sexual Anxiety steckt

Junge Frau in hellem Nachthemd sitzt verzweifelt mit angezogenen Knien auf einem ungemachten Bett.
© Adobe Stock/ boyloso
Sexual Anxiety ist die Angst vor Sex oder sexuellen Handlungen, die bei Betroffenen erhebliche psychische Belastungen und Stress verursachen kann.

Sexual Anxiety kann das Liebesleben ganz schön beeinträchtigen. Was es mit der Angst vor Sex genau auf sich hat und was Betroffene tun können, hat uns eine Sexologin erzählt.

Für viele Menschen gehört ein erfüllendes Liebesleben zu einer guten Beziehung einfach mit dazu. Doch was kann man tun, wenn der Gedanke an Intimität mit dem/der Partner*in ein Unwohlsein im Bauch hervorruft oder man genau im falschen Moment von einem Gefühl der Panik überwältigt wird?

Im Gespräch mit Sexologin Sasha Naydenova: Sexual Anxiety verstehen

Genau wie einen die Angst in einer vollen U-Bahn, bei der Zahnärztin bzw. beim Zahnarzt oder im Supermarkt überwältigen kann, passiert dies auch im Schlafzimmer. Sexual Anxiety, also die Angst vor Sex oder sexuellen Handlungen, nennt sich diese spezifische Panik-Reaktion.

BILD der Frau hat mit Sexologin Sasha Naydenova genau hierüber gesprochen. Im Interview erzählt die Sexologin und zertifizierte Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis in Berlin, wie sich Sexual Anxiety bemerkbar macht und was Betroffene tun können, um ihre Ängste zu überwinden.

Sasha Naydenova, ist eine lächelnde Frau mittleren Alters mit schulterlangem, dunklem, welligem Haar. Sie steht vor einem grünen Hintergrund. Sie trägt ein schwarzes Top mit einem drapierten Ausschnitt und darüber eine offene, olivgrüne Jacke. Um den Hals hat sie eine dezente Kette, und ihr freundliches Lächeln drückt Offenheit und Wärme aus. | © René Löffler
Foto: René Löffler
Sasha Naydenova ist ausgebildete Sexologin und bietet in ihrer Praxis in Berlin Sexualtherapie an.

Sexual Anxiety: Was ist das überhaupt?

Zunächst wollen wir uns der Frage annehmen, was Sexual Anxiety überhaupt ist und wie sich Betroffene fühlen. Sasha Naydenova erklärt, dass Sexual Anxiety recht ähnlich zu anderen Angstzuständen und -empfindungen sei. "Sollte man den Punkt noch nicht erreicht haben, sich der Sexualität völlig zu entziehen, äußert sich die Sexual Anxiety darin, dass die betroffenen Personen vor, während und nach der Sexualität grübeln, negative Empfindungen, Assoziationen und Gedanken haben. Vielleicht sogar innerliche Aggressionen verspüren, auch gegen sich selbst, sowie Zweifel und Verzweiflung", schildert sie.

Für Menschen, die unter Sexual Anxiety leiden, stelle Sexualität eine große psychische Belastung und einen enormen Stressor dar. Zudem würden sie unter einem starken Leidensdruck stehen, da ihr verhinderter Wunsch nach Nähe und die nicht erfüllbare Sehnsucht nach befriedigendem sexuellen Kontakt sie frustriere. Aus diesem Grund würden sich viele "unvollkommen, unfähig, unzulänglich oder unglücklich mit ihrer Sexualität" fühlen. 

"Bei vielen Menschen mit Sexual Anxiety kommt es irgendwann dazu, dass sie letztendlich nicht nur konkret Intimität und Sexualität vermeiden, sondern sogar Situationen, die auch nur annähernd dazu führen könnten. Manchmal sind ihnen sogar gängige Gespräche oder gar eigene Gedanken über Sexualität recht unangenehm", berichtet Frau Naydenova.

Infolgedessen könne es passieren, dass man keinen Orgasmus bekommen könne, Probleme mit der Erektion und dem Samenerguss entstünden oder sich Vagina-Trockenheit sowie sogar Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder Vaginismus einstelle.

Sexologin erklärt: So kann Sexual Anxiety das Liebesleben beeinträchtigen

BILD der FRAU: Ist Ihnen Sexual Anxiety schon einmal in der Beratung beziehungsweise in Ihrer Arbeit als Sexologin begegnet?

Sasha Naydenova: Das Wort "Angst" fällt in fast jedem Beratungsgespräch. Kein Wunder, denn Angst ist wie zum Beispiel Freude oder Wut eines der sieben menschlichen Grundgefühle, die meine Klient*innen nennen, um ihre Empfindungen in Situationen zu beschreiben.

Hinzu kommt der banalisierte Gebrauch des Begriffes innerhalb von Alltagssituationen, in denen man oft nicht wirklich "Angst" meint, sondern eher Zögern, Unsicherheit, ja sogar Langeweile. Ich hatte allerdings einige Klient*innen, bei denen sich das Angstempfinden deutlich von dem bisher erwähnten abhob und stark ausgeprägt war. Bei diesen Menschen konnte man von Sexual Anxiety sprechen.

Was können Gründe für Sexual Anxiety sein? Wie entsteht Sexual Anxiety?

Die Gründe können sehr unterschiedlich sein – es wäre unmöglich, alle aufzuzählen. Ein möglicher Klassifizierungsversuch wäre es, von "innen" nach "außen" zu blicken. Nennen wir zunächst einige objektive körperliche oder medizinische Besonderheiten, gehen danach ins Psychosomatische und weiter in die Außenwelt:

Nicht zu unterschätzen sind Erkrankungen, die die Sexualität primär betreffen, etwa Prostataerkrankungen beim Mann oder Gebärmutterhals- oder Brustkrebs sowie Schilddrüsenerkrankungen bei der Frau. Generell sind Hormone ein wichtiger Faktor für die gute sexuelle Funktion. Ihr Durcheinander bringt das Sexleben aus dem Lot, führt zu Performance-Angst oder zu sexueller Unfähigkeit oder Unlust, die Mann beziehungsweise Frau nur schwer zugibt.

Auch anatomische Eigenschaften wie ein wirklich zu kleiner oder zu großer Penis, wie Adipositas, wie Kleinwüchsigkeit oder andere körperliche "Unvollkommenheiten" können Gründe für Sexual Anxiety sein. Scham, allgemeine Ängste, die mit Sexualität in Verbindung stehen, oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper können weitere Gründe sein.

Traumatische Erlebnisse wie sexualisierte Gewalt, aber auch banalere Ereignisse wie ein "unschönes" erstes Mal oder als traumatisch empfundene erste Begegnungen mit dem Thema Sexualität können ebenfalls nachvollziehbar zu einer langjährigen Angst oder sogar zu Ekel in Bezug auf jegliche Sexualität führen.

Nicht zuletzt – nach dem Prinzip "was war zuerst" – können erektile Dysfunktionen des Mannes und Orgasmusstörungen bei der Frau zu einer Performance-Angst führen.

Fallbeispiel: Der Einfluss von Sexual Anxiety auf die Partnerschaft

Inwiefern kann Sexual Anxiety die Beziehung oder das Liebesleben belasten?

Etwas Unausgesprochenes, ein eigenes, unklares, aber sichtbares Geheimnis, kann bei sporadischen Begegnungen oder kurzfristigen Beziehungen als Eigenheit des Betroffenen gelten. Als etwas, was zwar stört und zur Trennung führt, den Partner/ die Partnerin des Betroffenen allerdings nur bedingt und nur kurz belastet.

In langfristigen intimen Partnerschaften kann ein bedeutendes Thema wie Sexual Anxiety auch das Gegenüber verändern und in Mitleidenschaft ziehen. Ein Beispiel aus der Praxis wird das verdeutlichen:

Der objektiv zu kleine Penis hat bei einem Klienten während seiner gesamten Adoleszenz bis hin zur Partnerschaft und innerhalb dieser für Scham und Stress gesorgt, was er zum Teil vor Partnerinnen (einschließlich der aktuellen) anspricht und was oft zu einer erektilen Dysfunktion führt. Die aktuelle Partnerin berichtet, dies sei ihr durchaus bewusst und sie bemühe sich jedes Mal darum, ihrem Partner das Gefühl zu geben, männlich und attraktiv zu sein. Sie bereite sich auf den Sex mental vor, würde jedoch jedes Mal vor dem Sex die Angst verspüren, ob es ihr gelinge, ihre unüberwindbare Enttäuschung über die Größe seines Penis zu verbergen.

Die Liste lässt sich durch unzählige Fälle von Beziehungsdynamiken erweitern, die von zwischenmenschlichen Unzufriedenheiten aller denkbaren Art geprägt sind.

Den eigenen Körper erkunden: Ein erster Schritt gegen Sexual Anxiety

Kann Sexual Anxiety auch die Selbstbefriedigung beeinträchtigen? Wenn ja, inwiefern?

Durchaus. Denn Sexual Anxiety ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass man den eigenen Körper nicht bewohnt. Man ist bei sich selbst nicht "zu Hause". Oft schämt man sich für sich selbst, man "gönnt" sich nicht die eigene Lust oder hat mit den oben genannten Herausforderungen zu kämpfen.

Es ist oft ein langer Weg, den man gehen muss, um den eigenen Genuss zu entdecken oder sich gar dazu fähig zu machen. Man kann damit beginnen, dass man den eigenen Körper erkundet und kennenlernt. Anfangs ganz ohne erotische Ambitionen.

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