Lust im Alter: Wie wichtig ist sexuelle Zufriedenheit dann noch?
Die Lust im Alter lässt nicht nach, so die Studienlage. Ob ein Beziehungsexperte das bestätigen kann – und wie Langzeitpaare sie aufrechterhalten.
Ein Gerücht, das sich hartnäckig hält, obwohl es immer wieder widerlegt wird: Ältere Menschen haben im Bett doch gar keinen Spaß mehr. Unsinn: Laut einer Studie von 2023 ist eine höhere sexuelle Zufriedenheit eindeutig mit einer höheren Alterszufriedenheit im Alter verbunden. Studienleiter Prof. Dr. André Hajek vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: "Selbst nach Berücksichtigung mehrerer Variablen besteht ein klarer Zusammenhang zwischen sexueller Zufriedenheit und Alterszufriedenheit." Und auch eine der Kernaussagen der Studie "Gesundheit und Sexualität in Deutschland" von 2020 lautet, dass die sexuelle Zufriedenheit im Alter ganz und gar nicht nachlässt!
Die sexuelle Aktivität wird mit länger dauernder Beziehung allerdings geringer. Dass Lust und Leidenschaft im Laufe einer solchen Zusammengehörigkeit auf der Strecke bleiben können, kann Eric Hegmann, Paarberater und Parship-Coach, aus seinen Erfahrungen heraus bestätigen. Zu Beziehungsthemen wie diesem bietet er in seiner Modern Love School viele Online-Kurse an. Im Interview mit BILD der FRAU spricht der Beziehungs-Experte darüber, wie Lust und sexuelle Zufriedenheit auch im Alter gelebt werden können.
Lust im Alter: Wie wichtig ist sexuelle Zufriedenheit dann noch?
BILD der FRAU: Lieber Herr Hegmann, Lust lässt laut diverser Studien auch im Alter nicht nach – können Sie das bestätigen?
Eric Hegmann: Viele scheinen es sich nicht vorstellen zu können (oder zu mögen?), aber Lust und Leidenschaft sind auch im höheren Alter immer noch ein Thema. Ältere Langzeitpaare in glücklichen Beziehungen sagen beispielsweise, die Frequenz von Intimität würde nachlassen, das Erleben der Sexualität aber sogar intensiver sein als zu Beginn. Das macht vielleicht all jenen Hoffnung, die befürchten, irgendwann würde die Leidenschaft zwangsläufig einschlafen. Dem ist nicht so. Und das belegen zahlreiche Studien.
Der US amerikanische Forscher Justin Lehmiller hat beispielsweise in seinem Buch "Tell me what you want (übersetzt: "Erzähl mir, was du dir wünschst") in großem Umfang auch ältere Generationen über deren sexuelle Wünsche und Fantasien (und deren Ausleben) befragt und bestätigt das Ergebnis der deutschen Studie "Gesundheit und Sexualität": Die meisten berichteten sexuellen Störungen der älteren Generation wie verringerte Libido, erektile Dysfunktion oder Orgasmusstörungen haben eher psychologische als physiologische Ursachen. Sexuelle Zufriedenheit muss eben nicht mit dem Alter abnehmen.
Heutzutage ist auch eine vierte große Liebe noch möglich
Spielen Errungenschaften unserer heutigen Zeit dabei eine Rolle?
Produkte wir Viagra und Cialis haben dazu geführt, dass ältere Paare wieder mehr Intimität erleben. Gleichzeitig ist durch sie aber auch ein neuer Leistungsdruck entstanden, dessen Langzeitauswirkungen noch bewertet werden müssen. Unser wichtigstes Sexualorgan aber, das Gehirn, das sexuelle Fantasien entwickeln kann, das arbeitet auch noch nach 25 Ehejahren und mit 60, 70 oder 80.
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Während vor einigen Jahrzehnten Seniorinnen und Senioren nur wenige Möglichkeiten der Partner*innen-Suche offen standen, ergeben sich heute mit zahlreichen extra auf sie zugeschnittenen Freizeit- und Online-Angeboten viele Möglichkeiten einer zweiten, dritten und vierten großen Liebe.
Ich habe viele Singles bei der Partner*innen-Suche und ihrer Partner*innen-Wahl unterstützt, die beispielsweise nach dem Verlust der langjährigen Person an der Seite noch einmal eine neue, eben auch leidenschaftliche Beziehung eingehen möchten. Teilweise mag das dann jüngere Verwandte befremden, doch wie lange soll denn eine vielleicht 80-jährige Witwe warten? Sexualität im Alter wird tabuisiert, dabei ist das Verlangen ein Leben lang vorhanden.
"Paare, die über Sex reden, haben mehr Sex"
Wie lässt sich Leidenschaft auch im hohen Alter befriedigend ausleben?
Das Forscher*innen- und Therapeut*innenpaar Dr. Julie und Pof. John Gottman hat seine jahrzehntelangen Untersuchungen mit einem Satz zusammen gefasst: "Paare, die über Sex reden, haben mehr Sex." Die Bereitschaft und der Mut, sexuelle Wünsche und Fantasien auszutauschen, ermöglich ja erst, diese auch gemeinsam ausleben zu können. Und auch, wenn erfüllende Sexualität nur einen Aspekt von dauerhafter Beziehungszufriedenheit darstellt, sie wird mit den Lebensjahren nicht unwichtig.
Viele sogenannte "unteraktivierte Paare", also Partner*innen, die sehr vertraut und liebevoll miteinander umgehen, jeden Streit und Konflikt vermeiden, erleben meist wenig oder manchmal sogar keine Sexualität mehr. Hingegen sind die sogenannten "überaktivierten Paare", die sich häufig streiten und ihre Grenzen austesten, sexuell aktiv. Mut, Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren und zu verhandeln, scheint essentiell zu sein für Lust und Leidenschaft – ein Leben lang.
➔ Mehr Infos zu unserem Experten Eric Hegmann findest du hier, und hier geht's zur Modern Love School. Dort gibt es noch mehr passende Online-Kurse zum hier besprochenen Thema.
➔ Mehr über die Studie in englischer Sprache liest du hier.
Weitere Beziehungs-Themen, für die uns Eric Hegmann bereits Rede und Antwort gestanden hat:
- Einfluss der Eltern: Wie ihre Beziehung unser Liebesleben formt
- Lässt sich eine Ehe überhaupt friedlich beenden?
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