Alltagssexismus: Wie Sprache unbemerkt diskriminiert

Warum sind Mädchen süß, Jungs freche Rabauken? Wieso ist die weibliche Endung im Deutschen weit davon entfernt, selbstverständlich zu sein? Zum Internationalen Frauentag hat BILD der FRAU mit einer Expertin über das Thema Sexismus in der Sprache gesprochen.
Findest du es unangemessen, wenn bei einer Gruppe von Männern und Frauen grundsätzlich die männliche Form verwendet wird, beispielsweise "die Mitarbeiter"? Stört es dich, wenn sogar eine Frau von sich sagt, sie sei etwa "Redakteur"? Man (!) kann das finden, wie man will, Fakt ist: Die deutsche Sprache ist in Sachen Sexismus noch ein gutes Stück weit davon entfernt, geschlechtsneutral oder vielmehr geschlechtsgleichberechtigt zu sein.
Woran macht sich das noch bemerkbar? Wie ist das in anderen Sprachen? Und was muss sich noch ändern, um den Sexismus in der Sprache einzudämmen? BILD der FRAU hat mit Cornelia Lahmann darüber gesprochen. Sie ist Angewandte Linguistin bei der Sprachlern-App Babbel.
Sexismus in der Sprache: Nicht nur das generische Maskulinum benachteiligt Frauen
Liebe Frau Lahmann, wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da, was Sexismus in der Sprache angeht: Ist die deutsche Sprache besonders voll davon?

Cornelia Lahmann: Wie in vielen anderen Ländern ist Alltagssexismus in der Sprache auch in Deutschland ein wichtiges und viel debattiertes Thema. Besonders viel diskutiert wird hierzulande das generische Maskulinum, welches Personen oder Berufsbezeichnungen maskulin markiert und als allgemeingültig darstellt (wie beispielsweise Lehrer, Fahrer, etc.). Das führt natürlich dazu, dass nicht nur Frauen unsichtbar gemacht werden, sondern auch Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen.
Um zumindest bei Berufsbezeichnungen zwischen männlich und weiblich zu unterscheiden, haben wir im Deutschen allerdings den Vorteil, entsprechend ein "in" anzuhängen wie bei zum Beispiel Lehrerin oder Fahrerin. Die englische Sprache verhält sich natürlich grundsätzlich anders, da die meisten Bezeichnungen genderneutral sind, wie zum Beispiel "teacher" für Lehrer und Lehrerin. Während wir in Deutschland im Hinblick auf das dritte Geschlecht Fortschritte machen (hierzulande können sich intersexuelle Menschen seit 2018 im Geburtenregister als "divers" eintragen, bei Jobausschreibungen kommt zu m/w nun auch ein d hinzu), zeigen sich andere Länder zögerlich. So ist beispielsweise in Frankreich noch keine Einführung des dritten Geschlechtes in Aussicht.
Um nochmal auf die englische Sprache zurückzukommen, gibt es auch im Englischen reichlich Ausdrücke, die negativ konnotiert sind und zudem nur Frauen vorbehalten sind, wie zum Beispiel der Ausdruck "Bitch", im Deutschen "die Zicke". Während im Spanischen der Hahn mit "el gallo" systematisch auf Mut und Größe verweist, trägt seine weibliche Version Henne, "gallina", im Gegensatz dazu die Idee der Feigheit in sich.
Positive Beispiele lassen sich in Schweden finden. Dort wurde – speziell um auch transsexuelle Menschen zu berücksichtigen – neben den Pronomen "han" (er) und "hon" (sie) das neutrale "hen" eingeführt.
Im Niederländischen gibt es lediglich "de" und "het" (das), wobei "de" sowohl die weibliche als auch die männliche Form einschließt.
Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt also auf, dass nicht nur im Deutschen noch einiges an Arbeit vor uns liegt, um Sexismus aus unserer Sprache zu verbannen, es aber auch schon einige positive Entwicklungen gibt.
Auch im geschlechtsneutralen Englischen gibt es den Postman und die Stewardess
Gibt es überhaupt Länder, in denen das Männliche nicht in der Sprache dominiert?
Die englische Sprache verhält sich hier aufgrund des fehlenden grammatikalischen Geschlechts anders und ist allgemein neutraler. Natürlich gibt es auch hier noch Ausdrücke, die eindeutig männlich (z. B.: postman) oder weiblich (z. B.: stewardess) besetzt sind. Neben der englischen Sprache gibt es aber auch eine Reihe anderer Sprachen, die kein grammatikalisches Geschlecht haben, wie zum Beispiel Türkisch, Japanisch, Koreanisch oder Ungarisch. Es ist auch so, dass die Dominanz des Männlichen in der Sprache nicht unbedingt etwas mit Sprache zu tun hat (wenngleich sie sich auf verschiedene Art und Weise darin ausdrücken kann), sondern vielmehr mit der historischen Rollenentwicklung der Geschlechter.
Was halten Sie von der Idee des Genderns in der Sprache?
So wirklich neu ist die Idee des Genderns in der Sprache ja eigentlich nicht mehr. Seit Jahren gewinnt das Thema an Relevanz, und das zu Recht. Als in den 80er-Jahren zum ersten Mal das Binnen-I verwendet wurde, war die Diskussion in den Medien groß. Heutzutage wird darüber schon viel weniger gesprochen.
Wenn wir vom Gendern sprechen, geht es ja um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und um Inklusivität in der Sprache. Alle Menschen sollen sich gleichermaßen angesprochen fühlen. Ich halte es aufgrund meiner Beschäftigung beim Sprachlern-Unternehmen Babbel für absolut notwendig, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, denn Sprache und deren Auswirkung auf unsere Gesellschaft ist Teil meines Jobs und beeinflusst natürlich auch, wie wir unsere Kurse entwickeln. Darüber hinaus begrüße ich auch die Bemühungen verschiedener Redaktionen, das Thema aktiv anzusprechen.
Viele sexistische Ausdrücke sind in den sozialen Medien ganz selbstverständlich
Was sind für Sie die schlimmsten Beispiele an Sexismus in der (deutschen) Sprache?
Es gibt einfach zu viele Formen des sprachlichen Sexismus. Zu sagen, was besonders schlimme Beispiele sind, fällt mir nicht leicht. Alltagssexismus und Formulierungen, die unterschwellig sexistisch sind und sich unbemerkt in den Sprachgebrauch eingeschlichen haben, sind besonders schlimm, da sie viel zu oft unreflektiert immer weiter gegeben werden. Dann sind da auch sexistische Sprechakte, die für Betroffene gesundheitliche, psychische oder physische Folgen haben oder solche, auf die körperliche, zum Teil auch lebensgefährliche, Übergriffe folgen können.
"Die Kleine muss mal ordentlich durchgef**kt werden" zum Beispiel – etwas, das vor allem in den Sozialen Medien wie selbstverständlich runtergeschrieben wird. Oder sprachliche Diskriminierungen, die nicht nur auf Grund des Geschlechts stattfinden, sondern Schnittpunkte zu weiteren Diskriminierungsformen haben wie etwa Rassismus, Homophobie oder Behindertenfeindlichkeit. Man spricht dann von Intersektionalität: einer Gleichzeitigkeit von verschiedenen Formen der Diskriminierung.
Wirkt sich Sexismus in der Sprache immer auch auf Sexismus in anderen Bereichen aus?
Sprache kann unser Denken prägen, unsere Wahrnehmung beeinflussen und unser Handeln bestimmen. Das gilt natürlich auch für sexistisch geprägte Sprache, die schon bei kleinen Kindern beginnt, wenn diese beispielsweise mit geschlechtlichen Vorurteilen konfrontiert werden, wie "Mädchen sind süß und Jungs freche Rabauken". Auch im Erwachsenenalter setzt sich diese Art von Vorurteilen fort, wenn es etwa heißt, Frauen können kein Auto fahren oder schlecht parken, dafür aber sehr gut zuhören.
Dabei ist es grundsätzlich egal, ob es sich um unterschwelligen, versteckten Sexismus oder aggressiv sexistische Äußerungen handelt: Sie beeinflussen das Selbstbild und Selbstwertgefühl, formen Bilder und Vorstellungen, beeinflussen den Alltag, können sich auf die Gesundheit auswirken, die eigenen Handlungen und Handlungen anderer prägen, Partnerschaften beeinflussen, den Beruf und beruflichen Alltag… die Liste kann endlos weitergeführt werden. Denn Sprache ist überall und damit potentiell auch Sexismus – egal ob in gesprochener, geschriebener, verbildlichter oder vertonter Form.
Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern darauf aufmerksam machen: Nur so kann sich etwas ändern
Was müsste Ihrer Meinung nach noch passieren, damit der Sexismus im Allgemeinen und in der Sprache im Besonderen abnimmt bzw. aufhört?
Da steht noch sehr viel (Aufklärungs-)Arbeit vor uns. Ein erster großer Schritt ist es, auf Missstände aufmerksam zu machen. Egal ob es sich um Sexismus in Form von Handlungen oder um sprachliche Akte handelt: Wer Sexismus erlebt, sollte dies nicht einfach hinnehmen. Gerade beim Alltagssexismus läuft man Gefahr, sich vielleicht zu denken "na ja, das war ja nicht so schlimm" oder "das war bestimmt nicht so gemeint" – und das mag vielleicht auch der Fall sein.
Dennoch: Nur wer auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht wird, kann dies auch ändern. Je mehr über Sexismus in Gesellschaft und Sprache gesprochen wird – nicht nur im Privaten, auch im Öffentlichen –, desto mehr Menschen werden sich der Problematik bewusst, desto mehr Menschen werden sensibilisiert, schärfen ihr Bewusstsein für die eigene Wortwahl und die der anderen und ändern im besten Fall ihr (sprachliches) Verhalten.
Mehr Infos über die Sprachlern-App Babbel gibt's hier.
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