Die Nebenwirkungs-Falle: Für Frauen sind Standard-Dosen oft zu hoch
Prof. Petra Thürmann beschäftigt sich als Pharmakologin seit über 20 Jahren mit den Unterschieden von Männern und Frauen bei der Verstoffwechselung von Medikamenten.
BILD der FRAU: Liebe Frau Professor Thürmann, warum wirken Medikamente bei Frauen anders als bei Männern?
Prof. Petra Thürmann: Das liegt vor allem daran, dass die weibliche Leber anders mit Enzymen bestückt ist. Das heißt, dass manche Medikamente in der Leber schneller abgebaut werden und kürzer wirken, bei anderen Medikamenten ist es genau umgekehrt. Einige Schlafmittel und Antidepressiva wirken bei Frauen länger: Zolpidem zum Beispiel macht Frauen deshalb am Folgetag noch müde.
Die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Medikamente, FDA, hat deshalb angeordnet, dass in den US-Beipackzetteln für Frauen nur die halbe Dosis angegeben ist. In den deutschen Beipackzetteln steht bisher nur ein Hinweis für ältere Menschen allgemein, die halbe Dosis zu verwenden. Es ist kurios, dass beide Zulassungsbehörden die gleichen Daten hatten und zu unterschiedlichen Empfehlungen gekommen sind. Die USA sind beim Thema geschlechtergerechte Medizin tatsächlich weiter als wir in Europa.
Frauen haben doppelt so hohes Risiko für Nebenwirkungen
Manche Studien gehen davon aus, dass Frauen im Vergleich zu Männern ein fast doppelt so hohes Risiko für Nebenwirkungen haben. Auch das Risiko für eine schwere Nebenwirkung ist für Frauen größer. Warum?
Das liegt einerseits an der oft zu hohen Dosierung. Das andere ist, dass auch die weibliche Nierenfunktion niedriger ist als bei Männern. Das verstärkt sich im Alter noch. Außerdem nehmen Frauen häufig Schmerzmittel ein, die weiter die Niere einschränken können, und kommen mit Nierenschäden häufiger ins Krankenhaus.
Das bekannteste Beispiel schwerer Nebenwirkungen bei Frauen ist eine bestimmte Art von Herzrhythmusstörung, die z.B. durch Antidepressiva und Antihistaminika ausgelöst wird. Sie tritt bei Frauen doppelt so häufig auf wie bei Männern.
Wechseljahre und Medikamente
Haben die Wechseljahre eine Auswirkung auf die Verträglichkeit von Medikamenten?
Manche der Unterschiede zwischen den Geschlechtern verschwinden mit den Wechseljahren – gerade was die Leber betrifft. Andererseits wird das Problem der abnehmenden Nierenfunktion für Frauen mit zunehmendem Alter größer.
Was sollte ich als Frau beachten, um sicher Medikamente zu nehmen?
Wenn es nicht um etwas Akutes geht, wie ein Antibiotikum, dann kann man sich von unten mit einer geringen Dosis an das Medikament herantasten – z.B. bei Antidepressiva. Wird es gut vertragen, erhöht man die Dosis. Auch bei verschreibungsfreien Schmerzmitteln wie Ibuprofen reichen vielleicht statt der üblichen 400 mg auch 200 mg. Magen und Niere werden es Ihnen danken.
Warum müssen Frauen, die an Medikamenten-Studien teilnehmen, doppelt, aber ohne Pille verhüten?
Man fürchtet Wechselwirkungen mit dem zu testenden Präparat. Außerdem weiß man, dass z.B. Johanniskraut, einige Mittel gegen Epilepsie und Antibiotika die Pille unwirksamer machen. Man will aber ein neues Contergan ausschließen. Also müssen dann entweder Frauen ohne Uterus, solche nach den Wechseljahren oder solche gefunden werden, die sich bereit erklären, zwei Verhütungsmittel ohne Hormone gleichzeitig zu benutzen, Kondome und Spirale zum Beispiel.
Das macht es schwierig, Frauen für die Studien zu finden. Seltsam wird es, wenn ich von einem lesbischen Paar verlangen muss, sich eine Spirale setzen zu lassen und Kondome zu nutzen. Die Welt ist ein bisschen bunter, als es die Formulare vorsehen …
Frauen in Medikamentenstudien
Seit 2004 müssen Frauen in Medikamentenstudien angemessen vertreten sein. Was heißt das?
Darüber gibt es tatsächlich immer wieder heiße Diskussionen. Frauen sollten zahlenmäßig so beteiligt sein, wie ihre Krankheitsbeteiligung ist. Wenn also eine Krankheit zu 70 Prozent Frauen trifft, sollten auch in einer Medikamenten-Studie dazu 70 Prozent Frauen sein. Darüber hinaus ist entscheidend, dass die Studie auch getrennt nach Geschlechtern ausgewertet wird. Das passiert leider immer noch zu selten.
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