"Jetzt reden wir!"

Was tun Sie für eine bessere Frauenmedizin, Herr Lauterbach?

In der Klartext-Runde steht Karl Lauterbach drei Leser*innen-Expertinnen Rede und Antwort.
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In der Klartext-Runde steht Karl Lauterbach drei Leser-Expertinnen Rede und Antwort.

Das Gesundheitssystem kann die Besonderheiten von Frauen nicht länger ignorieren – da waren sich unsere drei Leser*innen-Expertinnen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einig.

Was viele nicht wissen: Frauen sind in der Medizin bis heute noch benachteiligt – Studien, Therapieformen und Arzneimittel orientieren sich vornehmlich am männlichen Gesundheitsempfinden. Es wird höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert! Aus diesem Grund stellte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Videokonferenz den Fragen dreier Leser*innen-Expertinnen. Die große Frage: Was tun Sie für eine bessere Frauenmedizin, Herr Lauterbach?

Karl Lauterbach zu Frauengesundheit: Interview mit drei Expertinnen

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Foto: Bild der Frau
Prof. Gertraud Stadler sprach mit dem Bundesgesundheitsminister über den Gender-Health-Gap.

Die Professorin: "Uns fehlen Frauen in Spitzenfunktionen"

Prof. Gertraud Stadler (48) hat einen Lehrstuhl für geschlechtersensible Präventionsforschung an der Charité Berlin. Sie forschte u. a. auch an der Columbia University in New York – und wünscht sich, dass Frauen auch in ihrer Rolle als Gesundheitsmanagerin der Familie stärker unterstützt werden.

Stadler: "Welchen Stellenwert hat Frauengesundheit für Sie?"

Minister Karl Lauterbach: Als Gesundheitsminister setze ich mich für einen gleich- berechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung ein – und zwar in jeder Hinsicht. Der Ort der Behandlung, der soziale Status oder eben auch das Geschlecht dürfen für die Qualität der Versorgung keine Rolle spielen. Als Epidemiologe bin ich in das Thema eingearbeitet und bekomme auch über meine Töchter, Freundinnen und gute Bekannte mit, welche besonderen Probleme es gibt, dass Frauen ihre Beschwerden oft lange verschweigen und Männern oft engagiert helfen, wenn diese erkranken. Als Arzt werde ich oft gebeten, Zweitmeinungen zu organisieren oder eine spezielle Behandlung.

Warum ist trotzdem noch der Mann das Maß?

Sie haben ja recht, die Europäische Zulassungsbehörde müsste da mehr Vorgaben machen – sodass die gesundheitlichen Belange von Frauen in der Arzneimittelforschung konsequent berücksichtigt werden. Da besteht großer Handlungsbedarf. Und allmählich verbessert sich die Datenlage für Frauen.

Die Datenlücken zu Geschlechterunterschieden sind riesig. Warum werden Forscher nicht – wie etwa in Kanada – verpflichtet, Ergebnisse getrennt nach Mann und Frau auszuwerten?

Genau diese Lücken schließen wir nun. Ein Beispiel: Von Long Covid sind Frauen häufiger betroffen als Männer, mit zum Teil schweren Folgen. Hier bringen wir die Forschung auf den Weg. Ab 2024 sollen insgesamt 100 Millionen Euro für Forschung zu Long Covid ausgegeben werden. Wir werden darauf achten, dass die Geschlechterunterschiede in der Long-Covid-Forschung berücksichtigt werden.

Obwohl mehr Frauen als Männer Medizin studieren, sind Chefärztinnen weiter die Ausnahme. Wir brauchen aber die weibliche Perspektive!

Richtig. Und wir brauchen ein Gesetz für Geschlechterparität. Leider kann ich als Gesundheitsminister aber den Unternehmen keine Vorgaben machen. In den Bereichen, die mein Ministerium regeln kann, möchte ich aber mit gutem Beispiel vorangehen. Bei den Kassen, im GKV-Spitzenverband, bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den medizinischen Diensten haben wir gesetzliche Vorgaben gemacht, um die Repräsentanz von Frauen in Vorständen und Verwaltungsräten zu stärken. Generell gilt: Frauen sind hoch qualifiziert – und Wissenschaft und gesundheitliche Vorsorge würden von mehr Frauen profitieren.

Die Patientin: "Ultraschall ist nicht mal Kassenleistung"

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Alexandra von Korff sprach mit Karl Lauterbach. Sie erhielt 2017 die Diagnose Brustkrebs.

Alexandra von Korff (49, zwei Grundschulkinder) bekam 2017 die Diagnose Brustkrebs. Sie ist Podcasterin, Bloggerin, Mitarbeiterin bei patients today. Ihr Herzensthema: Dass wir lernen, offener mit dem Thema Krebs umzugehen

Von Korff: Oft erkennt die Mammographie den Brustkrebs nicht – wie bei mir. Ein Ultraschall ist nötig. Warum muss man die wichtige Untersuchung selbst bezahlen?

Minister Karl Lauterbach: Das ist eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses – dem höchsten Gremium von Ärzten, Kassen und Krankenhäusern. Über das Für und Wider einer reinen Ultraschalldiagnostik wird seit Beginn des Mammographie-Screenings diskutiert. Denn dort kommt es auch zu vielen falsch-positiven Befunden. Auf Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und europäischer Empfehlungen prüft der Ausschuss derzeit eine schrittweise Anpassung des Mammographie-Screening-Programms.

Die Pflegesituation in Kliniken ist desaströs: Operationen müssen verschoben werden, weil Pflegekräfte knapp sind. Bis 2030 fehlen 500.000!

Um wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern, müssen wir an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzen. Die Pflege im Krankenhaus haben wir bereits aus den Fallpauschalen rausgenommen. Das heißt, wenn ein Krankenhaus mehr Pflegekräfte einstellt, dann bekommt es die auch zu 100 Prozent bezahlt. Bisher gab es eine Pauschale pro medizinischem Fall. Eine Klinik konnte so auch Gewinn machen, wenn sie an der Pflege sparte. Diese Logik haben wir durchbrochen. Aber das reicht natürlich noch nicht. Die Pflege muss als Beruf attraktiver werden. Da geht es nicht nur um ein faires Gehalt. Gerade Frauen ist wichtig, dass sie sich auf medizinische und pflegerische Aufgaben konzentrieren können – und nicht unter Druck so viele Patienten wie möglich abfertigen müssen.

Wie soll das klappen?

Ich arbeite mit den Ländern gerade an einer großen Krankenhausreform, in der die Vergütung sich nicht an der Zahl der Patientinnen und Patienten bemisst. Die Eckpunkte lege ich bis zur Sommerpause vor.

Verraten Sie bitte mehr!

Nicht jede Klinik soll künftig alle Behandlungen anbieten müssen, um angemessen finanziert zu werden. Daher werden sie in drei Gruppen eingeteilt: Unikliniken und große Spezialkliniken, die wirklich alles anbieten, würden die Maximalvergütung auf Level 3 bekommen. Level 2 ist für Kliniken, die eine flächendeckende Vollversorgung anbieten. Level 1 übernimmt die Grundversorgung.

Die Krankenkassen-Vertreterin: "Wir dürfen Fehler jetzt nicht zementieren"

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Barbara Steffens diskutierte auch beim BILD der FRAU- Gesundheitsgipfel im Februar mit.

Barbara Steffens (61) leitet die Landesvertretung der Techniker Krankenkasse in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war sie sieben Jahre NRW-Gesundheitsministerin (Bündnis 90/Die Grünen). Sie beschäftigt sich seit Langem mit geschlechtergerechter Medizin – und sorgt sich um die künstliche Intelligenz

Steffens: In der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten spielen Geschlechterunterschiede fast keine Rolle. Wann ändert sich das?

Minister Karl Lauterbach: Aktuell reformieren wir die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte. Wir werden die Gender- medizin ausdrücklich in die Approbationsordnung, die das Medizinstudium regelt, aufnehmen.

Auch den Behandlungsleitlinien in Deutschland ist egal, ob ich Mann oder Frau bin. Da sind wir international Schlusslicht!

Auf jeden Fall haben wir enormen Nachholbedarf. Damit, dass Unternehmen Deutschland verlassen, weil sie hier nur schwer forschen können, dürfen wir uns nicht abfinden. Unser Hauptproblem ist die Datenlage …

Genau. Wenn jetzt die künstliche Intelligenz kommt, speichern wir ihr dann all die uralten Daten ein – und zementieren alle Fehler für die Zukunft?

Nein, dann hätten wir verzerrte Ergebnisse. Unser Ziel ist es daher, neue Daten zu gewinnen – mithilfe der digitalen Reform, die ich anschiebe.

Was schieben Sie da an?

Im Gesundheitsministerium arbeiten wir an zwei großen Digitalisierungs-Gesetzen. Zum einen wollen wir die Nutzung der elektronischen Patientenakte vereinfachen und die Hürden für Patientinnen und Patienten dafür abbauen. Zum anderen vereinfachen wir die Datennutzung, um Menschen besser helfen zu können. Aus der Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland sind zahlreiche wertvolle Daten vorhanden. Sie liegen aber brach, weil die Forschung diese Daten bislang kaum auswerten darf. Das will ich ändern.

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Foto: Bild der Frau/Christoph Michaelis
In einer Video-Konferenz sprach Karl Lauterbach mit den Expertinnen.
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