Wir müssen über die Wechseljahre reden
Nicht nur betroffene Frauen wissen oft zu wenig über die Beschwerden. Auch Ärzte kennen sich nicht immer aus. Frauenärztin Dr. Katrin Schaudig und Buchautorin Miriam Stein wollen das ändern.
Zu wenig Wissen über die Wechseljahre: Interview mit zwei Expertinnen
Jeder zweite Mensch auf der Welt erlebt die Hormonumstellung irgendwann. Zurzeit sind es 9 Millionen in Deutschland. Wechseljahre sollten also kein Nischenthema sein. In der Ärzte-Ausbildung ist es das aber: "Es gibt nur eine, vielleicht zwei Vorlesungen im Studium zum Thema Wechseljahre. Schwerwiegender ist es aber in der gynäkologischen Facharztausbildung. Denn Hormonprobleme sind ein ambulantes Thema.
Wenn Sie, wie die meisten, in der Klinik Ihre Ausbildung machen, kommt es deshalb kaum vor. Umgang mit Wechseljahren lernt man nur, wenn man Patientinnen in einer Praxis betreut. Also müssen diese Kenntnisse auf Fortbildungen abgeholt werden. Das machen viele auch, es ist aber eben mühsamer", sagt Dr. Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft.
Deshalb kommt es immer noch vor, "dass eine Frau mit Herzbeschwerden bei ihrem Hausarzt ist, der nichts findet, aber Blutverdünner verschreibt, weil er sie nicht ohne Hilfe gehen lassen will. Dabei sind mitunter die Wechseljahre schuld," sagt Frauengesundheits-Aktivistin Miriam Stein.
Sport und gesunde Ernährung reichen nicht
Denn nicht nur Hitzewallungen sind ein Symptom der Hormonumstellung. Viel früher schon machen sich Schlafstörungen und eine seelische Dünnhäutigkeit bemerkbar. Auch Gelenkschmerzen und eben Herzrasen können hormonell bedingt sein.
Dr. Schaudig: "Das größte Missverständnis aber ist, dass Frauen glauben, Beschwerden mit gesunder Ernährung und Sport vorbeugen oder lindern zu können. Das funktioniert leider nur bedingt."
Ein weiteres Problem, warum Frauen häufig schlecht aufgeklärt werden über ihre Wechseljahresbeschwerden ist die Abrechnungslogik der Krankenkassen. Miriam Stein sagt: "Ärztinnen und Ärzte können nur eine Pauschale von 16,89 € pro Quartal für eine Kassenpatientin abrechnen.
Arbeitsunfähigkeit wegen der Beschwerden
Eine angemessene Versorgung ist so wirtschaftlich unmöglich. "Ein Arzt erzählte mir, sie könn"ten dann 'hormonelle Dysbalance' abrechnen. Aber dass es nötig ist, solche Tricks anzuwenden, um etwas zu behandeln, was jede Frau hat, finde ich nicht okay. Nicht nur Privatpatientinnen sollten Zugang zu einer ausführlichen Wechseljahresberatung haben."
In den Niederlanden gibt es seit 1999 eine kostenlose Wechseljahresbegleitung von Beraterinnen, die ähnlich wie Hebammen ausgebildet sind. Miriam Stein: "Wir lassen Frauen im mittleren Leben im Stich – dabei wären Früherkennung und Behandlung so wichtig, um auch die Erwerbstätigkeit zu erhalten. Viele Frauen mit Wechseljahresbeschwerden sagen, sie können nicht mehr Vollzeit arbeiten. Die US-Beratungsfirma Frost und Sullivan hat 2019 errechnet, dass so ein wirtschaftlicher Schaden von gut 150 Mio. Dollar entsteht – pro Jahr."
In anderen Ländern ist man bereits weiter: Die Bank of Ireland gewährt Mitarbeiterinnen fünf flexible Krankentage pro Jahr für die Wechseljahre. Was muss sich bei uns ändern? "Es braucht mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Die Wechseljahre müssen salonfähiger werden", sagt Dr. Schaudig. Miriam Stein ergänzt: "Wir müssen Frauen besser informieren. Denn je mehr ich über meinen eigenen Körper weiß, desto besser kann ich für mich entscheiden."
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