Die Psycho-Falle: Antidepressiva wirken oft nicht in den Wechseljahren
Prof. Stephanie Krüger, Chefärztin der Psychiatrie am Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin, sieht häufig Patientinnen, die lange falsch behandelt wurden.
Prof. Stephanie Krüger im Interview mit BILD der FRAU zum Thema Frauengesundheit. Was Hormone mit Depressionen zu tun haben können und warum die reproduktiven Jahre einer Frau besonders im Fokus stehen.
BILD der FRAU: Liebe Frau Prof. Krüger, Depressionen werden bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern. Ist Depression also weiblich?
Prof. Stephanie Krüger: Nein, das ist ein Mythos. Es liegt am anderen "Inanspruchnahmeverhalten". Frauen können besser über ihr Befinden sprechen und gehen häufiger zum Arzt als Männer. Männer gehen höchstens wegen körperlicher Beschwerden, selten wegen seelischer Probleme.
Ist Depression weiblich?
Frauen haben in bestimmten Lebensphasen ein höheres Risiko, zu erkranken. Welche sind das?
In ihren reproduktiven Jahren werden Frauen häufiger depressiv. Das betrifft die prämenstruelle Phase, die Schwangerschaft, das Wochenbett, die Wechseljahre und weibliche Krebserkrankungen, wenn antihormonell behandelt werden muss.
Also sind Hormone schuld?
Häufig spielen Hormone eine wichtige Rolle. Das Progesteron zum Beispiel, dessen Spiegel früh in den Wechseljahren sinkt, wird im Körper zu einer Substanz umgewandelt, die elementar ist für unsere Gehirnfunktion. Dieser Stoff beeinflusst alle Bereiche unseres Empfindens: ob wir glücklich oder ängstlich sind. Deshalb kann es sein, dass Frauen bei hormonellen Veränderungen Angststörungen oder Depressionen entwickeln.
Müsste man dann nicht eher Hormone verordnen als Antidepressiva?
In solchen Fällen ja, und das macht man auch. Aber Hormone werden häufig in einen Topf geworfen und wegen einer Krebsgefahr oder eines Thromboserisikos häufig verteufelt, deswegen muss man da genau und detailliert aufklären.
Hormone und Depressionen
Werden Frauen also falsch behandelt?
Jedenfalls bekommen Frauen viel mehr Psychopharmaka verschrieben als Männer. Es wird meistens gar nicht untersucht, ob die Depression vielleicht psychosozial oder hormonell bedingt ist. Der Hormon-Zusammenhang ist vielen Ärztinnen und Ärzten unbekannt. Und manchmal fehlt auch schlicht die Zeit, sich intensiv mit der Krankengeschichte zu befassen. Ein Rezept ist schneller geschrieben. Und schneller eingelöst, als ein Therapieplatz gefunden.
Das heißt aber, dass Psychopharmaka oft nicht wirken bei Frauen?
Ja, zu uns kommen oft Frauen, die schon eine echte Odyssee hinter sich haben: fünf verschiedene Antidepressiva genommen haben, die nichts außer Nebenwirkungen gebracht haben. Wir stellen dann fest, dass die Hormone schuld sind. Und können ihnen gut helfen. Oder wir sehen, dass bei der Frau eine schwierige Lebenssituation der Auslöser für die Symptome ist und eine Psychotherapie benötigt wird. Natürlich können Antidepressiva auch sinnvoll und lebensrettend sein.
Antidepressiva in den Wechseljahren
Gibt es noch weitere "blinde Flecken" bei der Behandlung von depressiven Frauen?
Bei der älteren Frau gibt es das Problem, dass bestimmte Antidepressiva Östrogen brauchen, um in die Gehirnzelle zu gelangen. Das heißt, einige Mittel wirken nicht gut nach den Wechseljahren. Frauen werden oft nicht ernst genommen mit ihren Beschwerden, gelten schnell als "Psycho-Fall". Das ist leider schon bei jungen Frauen so. Ihnen glaubt man die Schwere von körperlichem Schmerz nicht so wie Männern. Bei Frauen ist die Diagnostik oft weniger systematisch, um körperliche Erkrankungen zu erkennen.
Redakteurin: Kerstin Bode
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