Die Ausbildungsfalle – Gendermedizin muss Prüfungsfach werden
An den Unis ist Bewegung: Privatdozentin Dr. Ute Seeland von der Charité Berlin über Fortschritte beim Aufbau von geschlechtergerechtem Medizinwissen.
Die Privatdozentin Dr. Ute Seeland im Interview mit BILD der FRAU Redakteurin Diana Faust über die Medizinlehre, die anerkennt, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind und gendersensible Medizin auch in der Ausbildung ein Thema sein muss.
BILD der FRAU: Liebe Frau Dr. Seeland, finden Gender-Aspekte ausreichend statt im Studium?
Dr. Ute Seeland: Es ist tatsächlich ein sehr junges Fach, das langen Anlauf brauchte, bis es überhaupt in der Forschung stattgefunden hat.
Woran liegt das?
Die Lehre gründet auf evidenzbasierten Fakten. Bis die so weit geprüft und anerkannt sind, dass sie Eingang in die Ausbildung finden, dauert es.
Frauen sind keine kleinen Männer
Wie sieht das Studium denn heute aus?
Die Lehre ist so aufgebaut, als gäbe es einen einheitlichen Körper, der auf eine bestimmte Weise funktioniert. Dann gibt es fachspezifische Erkrankungen, die sich auf die Geschlechter beziehen: Gynäkologie und ein Teil der Urologie.
Damit haben sich Lehrende und Studierende bisher abgefunden oder es ist ihnen gar nicht aufgefallen, dass es bei jeder Erkrankung Geschlechterunterschiede geben könnte und dass Frauen keine kleinen Männer sind.
Lebenswelten sind wichtig
Welche Unterschiede gibt es?
Die Genetik ist anders, und die Organfunktionen unterscheiden sich, was sich auch auf Erkrankungen auswirkt. Auch die Lebenswelten sind wichtig, darunter fällt z.B. Care-Arbeit von Frauen, die häufig das Stresslevel nach oben schraubt. Auch Einkommen, Bildung, die Hormone haben Einfluss – Stichwort Zyklus und Menopause. Deshalb ist Alter ein großes Thema. Da verändern sich viele Prozesse im Körper.
Steht das Fach überhaupt schon in den Lehrplänen?
Systematisch noch nicht an allen Universitäten. Aber z.B. hier an der Charité ist das Studium als sogenannter Modellstudiengang organisiert, eine modernisierte Form des bisherigen Regelstudiengangs. Und darin konnten wir geschlechtersensible Inhalte als Lernziele in alle Fächer mit einbringen. Da ist die Charité schon sehr weit. 70 Prozent der Unis hatten vor zwei Jahren noch so gut wie gar keine Vorlesungen oder Lehrangebote zu dem Thema.
Gendersensible Medizin als Lehrfach umsetzen
Sind Sie zufrieden mit dieser Entwicklung und wie geht es weiter?
Im letzten Jahr gab es noch mal einen großen Sprung, einige Unis haben Gastprofessuren in unserem Fach vergeben. Sie erkennen also immer mehr, dass es sich um ein wichtiges Fach handelt. Jetzt stecken wir nicht mehr in den Kinderschuhen, sondern stehen wirklich am Anfang, gendersensible Medizin als Lehrfach umzusetzen.
Und zum Glück gibt es Rückenwind aus der Politik: Laut Koalitionsvertrag soll geschlechtersensible Medizin im Lehrplan verankert werden. In Zukunft, wir hoffen bis 2027, sollen entsprechende Inhalte prüfungsrelevant für die Staatsexamina werden – das ist ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Redakteurin: Diana Faust
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