Frauen werden zu spät operiert
Orthopädie ist ein klassisches Männerfach in der Medizin. Das hat Folgen für Patientinnen. Nach OPs sind sie oft nicht zufrieden mit dem Ergebnis.
Frauen, Arthrose und Osteoporose: Interview mit einer Orthopädin
BILD der FRAU: Liebe Frau Dr. Sänger, hat das künstliche Kniegelenk für Frauen zur Gleichbehandlung der Geschlechter in der Orthopädie geführt?
Dr. Rebecca Sänger: Das "Frauen-Knie" gibt es tatsächlich schon über zehn Jahre. Und es ist Fluch und Segen zugleich. Man ist damals sehr schnell in der Vermarktung des neuen Implantats als "Frauen-Knie" gewesen, ohne Langzeitergebnisse abzuwarten. Letztlich brachte das Implantat keine Verbesserung für Frauen. Das ist den meisten Orthopäden in Erinnerung geblieben. Und seitdem wird "Gendersensible Medizin" oft als sinnloser Trend gesehen, den man aussitzen kann.
Andererseits hat das Implantat für eine Personalisierung der Therapie insgesamt gesorgt. Inzwischen bieten die Hersteller von Knieprothesen ein deutlich größeres Repertoire an Implantatkomponenten an, was die Passform verbessert. Und das ist gut für Männer und Frauen.
Nach dem 50. Lebensjahr, also in den Wechseljahren, sind Frauen viel häufiger von Arthrose betroffen. Warum?
Das weiß man nicht. Man vermutet, dass das fehlende Östrogen schuld ist. Das vermutet man übrigens schon seit 1925. Man ist dem nur bis heute nicht konsequent nachgegangen. Aber auch von vornherein haben schon Mädchen dünnere Knorpel als Jungs.
Wie können Frauen vorbeugen?
Ein gesunder Lebensstil ist das Wichtigste: in Bewegung sein und den Muskelaufbau erhalten, gerade in den Wechseljahren. Besonders das Knie und seine stabilisierende Muskulatur sollten trainiert werden.
Frauen wollen zu Hause nicht ausfallen und stellen ihre Gesundheit hintan
Es gibt die Vermutung, dass sich Frauen zu spät operieren lassen bei Arthrose.
Studien zeigen, dass Frauen sich insgesamt später operieren lassen. Sie fürchten OPs oft auch, weil sie in der Familie verantwortlich sind für den funktionierenden Alltag. Sie wollen nicht ausfallen und stellen dann ihre Gesundheit hintan. Es ist aber auch ein Problem der Ärzte. Tatsächlich werden nach Versagen konservativer Methoden Frauen später als Männer den Chirurgen zugewiesen.
Frauen haben nach der OP mehr Schmerzen, warum?
Man weiß, dass Frauen weniger zufrieden sind mit dem Ergebnis ihrer OP. Wahrscheinlich, weil sie schon schlechter gestartet sind – da es so spät war. Vielleicht sind aber auch die Fragebögen ungeeignet. Sie sind vornehmlich an Männern getestet worden. Frauen kommunizieren ihre Schmerzen anders als Männer.
Osteoporose nach den Wechseljahren ist ebenfalls vor allem ein Frauenproblem. Werden sie gut behandelt?
Die Versorgung ist hier besser als die von Männern. Das heißt aber nicht, dass die Versorgung gut ist. Acht Millionen Menschen leiden in Deutschland an Osteoporose. Und weniger als 25 Prozent der Betroffenen werden rechtzeitig und ausreichend auf Osteoporose behandelt.
Wie sieht die Behandlung denn aus?
Es sind vor allem Lifestyle-Änderungen: Krafttraining, Ernährungsumstellung, Substitution von Vitamin D und Medikamente. Man kann als Patientin viel selbst beitragen, zum Beispiel dadurch, dass man Vorsorge wahrnimmt und sich ausreichend bewegt.
Nur 5 Prozent der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen sind Frauen
Mittlerweile sind zwei Drittel der Medizinstudenten weiblich, aber es gibt nur sehr wenige Chefärztinnen. Gerade in Ihrem Fach, der Unfallchirurgie und der Orthopädie.
Wir sind mittlerweile 12,3 Prozent weibliche Orthopäden und Unfallchirurgen. Das ist schon ein Fortschritt. Das liegt an den jungen Assistenzärztinnen, die 25 Prozent ausmachen. Unter den leitenden Ärztinnen haben wir 5 Prozent. Und da hat sich in der Vergangenheit auch nichts geändert. In die leitenden Positionen dringen immer noch wenige Frauen vor. Die Gründe sind vielfältig: Natürlich ist es noch eine Männerdomäne, das wirkt abschreckend. Die, die sich trauen, haben wenige Vorbilder und müssen sich ihren Weg freikämpfen. Und die Work-Life-Balance ist ungünstig: Für eine Habil muss man in der Regel an einer Uniklinik arbeiten, und da gibt es Schichtdienst, 24-Stunden-Dienst und Wochenend-Dienst. Das ist schwierig als Mutter. Doch selbst wenn man noch keine Kinder hat, wird unterstellt, man falle bald aus, weil man ja eh schwanger werde. Das habe ich selbst erlebt.
Was muss sich ändern?
Wir brauchen moderne Arbeitsmodelle. Bei uns an der Uniklinik Greifswald gibt es z.B. Homeoffice-Zeiten zum Schreiben von Gutachten. Auch in der Schwangerschaft dürfen Kolleginnen – anders als in anderen Kliniken – weiterarbeiten, auch operieren. Die Patienten werden vor OPs durch Schwangere auf Hepatitis und HIV getestet. An anderen Kliniken gibt es sofort ein Berufsverbot. Dann fallen diese gut ausgebildeten Ärztinnen lange aus. Vor allem wenn sie mehrere Kinder bekommen. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden.
"Die große Ärzteliste für Frauen" kannst du dir ab sofort als 48 Seiten starkes Extra bestellen – im Bundle mit dem aktuellen BILD der FRAU-Heft und dem Sonderheft "Einfach Gesund", erhältlich für nur 3,00 € (zzgl. Versand) im FUNKE Shop.
→ Jetzt gleich hier bestellen!